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Café der Nacht (German Edition)

Café der Nacht (German Edition)

Titel: Café der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Julieva
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erläutern suchte und er andächtig lauschte, trafen immer mehr Freunde und Bekannte von Vida ein. Bald drängte sich eine kleine Gesellschaft zwischen Luftpolsterrollen und Versandkartons jeglicher Form, Größe und Couleur. Diese Leute waren vollkommen anders als die enthemmten Theater-Paradiesvögel des Cafés der Nacht. So intelligent und gebildet, es war eine vollkommen andere Ebene. Sie war gemäßigter, kühler, vergeistigter und sprach Maxim von Anfang an unerwartet an.
    Man beschloss, in eine nahe Szene-Kneipe in einem urigen Keller umzuziehen. Deren Einrichtung bestand aus weichgesessenen, ausgedienten Autositzen und in Tische eingelassenen Lenkrädern. Maxim landete unversehens in der großen Runde neben Vida. Ein schüchterner Zuschauer, mittendrin. Neben ihm berichtete gelangweilt eine Weltreisende, dass die New Yorker Kunstszene eindeutig dem Untergang geweiht war. Andere versuchten zu definieren, worin der genaue Unterschied der Farben Mauve und Flieder bestand, und ob so etwas wie Farbe überhaupt existierte.
    Maxim wurde unversehens zur Alice im Wunderland, irritiert und fasziniert von einer vollkommen anderen Welt, die ebenso befremdlich wie anziehend war. Am liebsten hätte er alles mit jeder Faser aufgesogen wie nach Regen gierender Savannensand.
    Vida beteiligte sich an den verschiedenen Gesprächen, denen sie im Gegensatz zu Maxim mühelos folgen konnte. Er dachte schon lange nicht mehr daran, wer sie wirklich war. Sie war auf magische Art und Weise vollkommen real für ihn geworden. Er sah nur noch eine gebildete, zauberhafte Frau. Ihm fiel auf, dass einer in der Runde auffallend deutlich Vidas Aufmerksamkeit suchte. Er hieß Georg, war teuer gekleidet, trug sein dunkles Haar ganz kurz und kultivierte einen geformten Dreitagebart. Er saß an Vidas anderer Seite und mischte sich stets dort großspurig ein, wo gerade ihr Interesse weilte. Es ging um Kunstdrucke.
    „Heute hat bald jede Pädagogikstudentin Monets Seerosen am Kleiderschrank hängen“, schnaubte er. „Die postmoderne Vervielfältigung und Vergeldlichung von Kunst ist entwürdigend. Das nimmt dem Werk seinen immanenten Wert, seine originäre Autonomie!“
    Vida lächelte in sich hinein. „Du elitärer Snob.“
    „Bin ich das?“, amüsierte er sich jovial.
    „Georg, sei ehrlich. Dich ärgert nicht, dass heute jedermann solche Poster hat, sondern dass die Kunst nicht mehr im Museum bleibt.“
    „Das habe ich so nicht gesagt.“
    „Aber gemeint“, ereiferte sich eine kurzhaarige, bebrillte Blondine neben ihm.
    „Es ist doch nicht eo ipso falsch, Gemälde in adäquatem Rahmen präsentiert haben zu wollen! Muss man sie denn so herabmindernd popularisieren?“
    „Wieso sollten sie an Wert verlieren, nur weil man sie allen zugänglich macht?“
    „Ach, du willst mich einfach nicht verstehen!“, seufzte Georg theatralisch.
    „Au contraire.“ Vida lächelte schnippisch. „Zu meinem größten Bedauern verstehe ich dich ausgesprochen gut.“
     
    Der Nachmittag verflog viel zu schnell. Vor der Kneipentür löste sich der Kreis von Freunden nach und nach auf, und schließlich fand sich Maxim mit Vida allein auf dem Heimweg wieder. Der früh kommende Abend wirkte schwarz vor den großen Fensterscheiben der hellen, überfüllten Tram. Um sie herum nur müde Gesichter und verkniffene Münder, stumpfsinniges Stieren und abgestandene Luft, doch Maxim fühlte sich wach wie nie.
    „Du kennst faszinierende Leute“, bemerkte er nach einer Weile, als er das Gefühl hatte, schon zu lange geschwiegen zu haben. All die neuen Eindrücke schwirrten ihm im Kopf herum.
    „Sei nicht zu beeindruckt. Viele davon sind nur Blender, Maxim. Sieh dir Georg an. Er versucht seinen durchschnittlichen Intellekt mit großen Wörtern aufzuwerten.“
    „Trotzdem. Ich würde gerne mehr über Kunst erfahren.“
    „Maxim“, sie lachte leise, „du lebst im Café der Nacht.“
    „Ich weiß“, erwiderte er verlegen. „Woher weißt du so viel über das alles?“
    „Es war immer Teil meines Lebens.“
    Maxim schwieg kurz. „Für meinen Vater hat nur das einen Wert, was nützlich ist.“
    „Siehst du das auch so?“
    „Ich weiß nicht. Ich habe noch nie darüber nachgedacht.“
    „Das solltest du vielleicht. Immerhin bestimmen unsere Werte, was wir für Menschen sind.“
    Er nickte nachdenklich und sah hinaus, während die Tram langsamer wurde. Unvermittelt erhob sich Vida und ging zur Wagentür. Er merkte erst jetzt, dass sie hier aussteigen mussten.

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