Café der Nacht (German Edition)
aufgeben sollte.
Maxim hatte am Abend nach seinem Besuch bei Hummelig spontan aus dem Hotel ausgecheckt, und beschlossen, im Café der Nacht zu nächtigen. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass dies notwendig war, um jene gewisse Unbehaglichkeit, die zwischen ihm und dem alten Gemäuer stand wie zwischen Freunden, die vor Jahren ungut auseinandergegangen waren, zu überwinden.
In der ehemaligen Pension hatte zuletzt eine Studenten-WG gehaust und sie genauso hinterlas sen, wie man es von einer Horde junger Erwachsener, die erstmals ohne elterliche Aufsicht lebten, erwartete. Im Bad hatte man das Waschbecken herausgerissen und mitgehen lassen. Auch die Küche war nur noch unvollständig vorhanden. In einem billigen Pressholzschrank mit schief hängender Tür lag noch eine Packung Spaghetti. Doch in Merlyns altem Zimmer standein durchgesessenes Ausziehsofa, das Maxim als Bettstatt nutzen konnte.
Die ganze Übernachtungsaktion war, wie er merkte, als er sich unter einer viel zu dünnen, muffigen Baumwolldecke bibbernd hin- und herwälzte, eine selten blöde Idee gewesen. Es war eisig kalt in dem leeren, alten Gemäuer. Die Heizung gab unheimliche, hämmernde Geräusche von sich und wurde nicht mehr als schwächlich-lauwarm. Maxim gab den Versuch auf, zur Ruhe zu kommen, fluchte leise vor sich hin und blinzelte übermüdet ins Halbdunkel. Im Zimmer ließen sich die zurückgelassenen Möbel, allesamt sperrmüllreif, nur schemenhaft erahnen. Er zuckte heftig zusammen, als er im Augenwinkel eine huschende Bewegung wahrnahm. Schlurfte da jemand durchs Zimmer, hörbar atmend? Der Wind heulte, und Maxim, schreckensstarr, vernahm das grausige Knarren eines Seils, an dem ein Leichnam schwer vom Galgen baumelte. Langsam mit dem Seil drehend, linksherum, rechtsherum. Anklagend starrten die leeren, leblosen Augen auf ihn herab. Binnen von Sekunden war Maxim auf den Beinen und hechtete zum Lichtschalter. Die aufflammende Glühbirne enthüllte, dass niemand im Raum war, außer ihm. Das kalte Grauen jedoch blieb. Maxims Herz trommelte, als hätte er einen Zweihundertmetersprint hinter sich.
„Lass mich in Ruhe“, flüsterte er heiser in die Stille hinein. „Lass mich doch endlich in Ruhe. Habe ich nicht längst schon genug gebüßt?“
Im Auge des Betrachters
D A M A L S
Maxim nahm mit recht behändem Schritt die Stufen der schmalen, unter seinem Tritt wankenden Holztreppe, die zur Mansarde hinaufführte, in der Ariel sein Atelier eingerichtet hatte. Der ehemals geisterhaft verlassene Raum war nun lichtdurchflutet und vibrierend lebendig. Kräftiger Ölfarbduft lag in der Luft, harziges Bindemittel, stinkender Pinselreiniger. Es störte Ariel überhaupt nicht, wenn Maxim und Rufus ihre Ausflüge aufs Dach weiterhin fortsetzten. Er hatte es sogar ausdrücklich erbeten. Er nahm ohnehin so gut wie gar nichts wahr, wenn er arbeitete. Und Ariel arbeitete immerzu. Gerade mal zwei Wochen war es her, dass Delas wieder gefundener Sohn in der Mansarde Quartier bezogen hatte, doch Maxim kam es vor, als wäre er von Anfang an hier gewesen. Es fühlte sich an, als gehörte er einfach in dieses Haus, vielleicht als ausgleichender Gegenpol zu all dem Trubel. Der stille junge Mann lebte spartanisch und zurückgezogen. Für ihn schien außerhalb der Malerei die Welt nicht Sinn noch Zweck zu haben. Er war ein Besessener. Oft bekam man ihn tagelang nicht zu Gesicht. Dela machte sich bald Sorgen um sein Wohlergehen. „Mach du das bitte“, hatte sie Maxim schließlich gebeten. Und so wurde er offiziell dazu abkommandiert, Ariel regelmäßig mit Nahrung zu versorgen. Dieser Auftrag gefiel ihm, denn so hatte er einen guten Vorwand, mehrmals täglich das Atelier zu besuchen. Die Treppe nach oben knarrte so erbärmlich, dass Ariel eigentlich stets hätte vorgewarnt sein müssen, bevor Maxim eintrat. Doch oftmals war er völlig überrascht, wenn plötzlich jemand mit einem Tablett mitten im Raum stand. Und das, obwohl er Maxim Momente zuvor noch, auf sein Klopfen hin, mit einem „Mhm!“ zum Eintreten ermuntert hatte. Es faszinierte Maxim, dass Ariel ganz in sein Schaffen eintauchte und im Rausch von Farbe und Pinselstrich nahezu verschwand. So hautnah wie hier hatte er noch bei keinem Künstler dessen Arbeitsprozess miterleben dürfen. Es lag Magie darin. Ex nihilio der Welt ein Kunstwerk zu gebären, darin lag Wunderhauch und Anmut.
„Eistee“, verkündete Maxim, nach seinem unbeantworteten Klopfen eintretend. Er platzierte die
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