Café Eden - Roman mit Rezepten
der Tram zum Dream Theatre, für Kitty auch eine Art Kirche, deren moralische Standards Eden sogar noch intensiver als im Tempel der Mormonen erlebte.
Die Vorstellungen am Samstagvormittag färbten Kittys Wangen rot. Sie zog ein Kostüm an, band Eden eine überdimensionale Schleife in die Haare und versorgte sich mit einem kleinen Vorrat an Tonic bei der Familie Bowers, die den Alkohol heimlich im Theater verkaufte. Sie und Eden besuchten immer die frühe Vorstellung und sahen sich den Film manchmal auch zweimal an. Danach konnte ihnen die staubige Wirklichkeit des kleinen Ortes nichts anhaben, so geadelt fühlten sie sich durch die verheiÃungsvollen Abenteuer, die sie gerade genossen hatten.
Etwas Unterschiedlicheres als die Kirche der Heiligen der Letzten Tage und das Dream Theatre konnte man sich nicht vorstellen. Das Dream Theatre sah in seiner Pracht auch von auÃen aus, als sei es einem mediterranen Traum entsprungen - blau, gelb und grün, mit Säulen und Bögen, Neptunfiguren und Nymphen - deren nackte Brüste züchtig hinter Muscheln verborgen waren -, die wellenförmig geschwungene Türen umrahmten, deren Messinggriffe Seeigel waren. Auch der Kartenschalter war wie eine Welle geformt, und im Foyer mit seinem dunklen Holz, den tiefblauen Teppichen, den funkelnden Kristallleuchtern und den verzierten Balustraden kam man sich vor wie in einer anderen Welt. Und drinnen im dunklen Kinosaal erinnerten die blauen Samtsitze, das polierte Mahagoni und Messing an ein versunkenes Schiff.
Als Kitty und Eden eintrafen, hatte die Kartenverkäuferin gerade erst hinter ihrer Theke Platz genommen. Der KartenabreiÃer, mit Kappe und einer schicken, mit Goldtressen besetzten Uniform, hatte gerade erst die Flügeltüren geöffnet, und die attraktiven Mädchen am Imbissstand stapelten Sandwiches auf Glasplatten. Kitty und Eden huschten hinein und liefen zur Treppe, die auf den Balkon führte.
Dort oben nahmen sie in der ersten Reihe ihre Lieblingsplätze ein. Sie kamen immer so früh, dass man noch hören konnte, wie die Theatermäuse eilig in ihre Löcher trippelten. Der Innenraum war lediglich von Wandfackeln erleuchtet, und ihre Augen gewöhnten sich nur langsam an das Dämmerlicht.
Ãber ihnen drehten sich träge die Deckenventilatoren und verteilten die abgestandene Luft. Es roch nach kaltem Rauch, SchweiÃ, getrockneter Orangenschale und Staub. Tief unten, im Orchestergraben, hörten sie die Schritte von Miss McBrean, der Pianistin des Dream Theatre, die alle Stummfilme begleitete. Sie hörten das Rascheln der Notenblätter und das Quietschen der Scharniere, als sie den schweren Flügel öffnete. Dann spielte Miss McBrean ein wenig und übte die Stücke, die sie während des Stummfilms spielen musste. Eden liebte diesen Moment. Es war wie ihr eigenes kleines Privatkonzert. Begeistert applaudierte sie, und Miss McBrean wandte ihr langes, schmales Gesicht mit den blauen Augen dem Balkon zu und verneigte sich.
Seufzend sagte Kitty zu ihrer Tochter: »Die Heiligen können über den Tempel sagen, was sie wollen, Schätzchen - das hier ist der eigentliche Tempel. Hier stirbt niemand oder wird hässlich, und wenn das nicht das Ewige Leben ist, dann weià ich es nicht.«
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Sonntags wurde nicht geklatscht. In der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, einem nüchternen Bau mit harten Holzbänken und ohne Ventilatoren, gab es nur ein verstimmtes Piano, um den Gesang zu begleiten. Schwester Bledsoe spielte so fürchterlich, dass die Gemeinde extra laut singen musste, um ihre Misstöne zu übertönen. Eng aneinandergedrängt saÃen die Menschen in der Wärme, und Eden, die zwischen ihrem Vater und Tom oder Afton Lance saÃ, atmete Schweià und feuchte Ausdünstungen ihrer Körper ein. Manchmal war es so heiÃ, dass das Gesangbuch blau auf ihre Finger abfärbte. An solchen Tagen brachte Afton kleine Papierfächer mit und verteilte sie an die Damen um sie herum. Auch Eden bekam einen und kam sich sehr erwachsen vor.
Nach der Kirche nahmen Tom und Afton Lance Gideon und Eden manchmal in ihrer groÃen Limousine mit. Gideon protestierte zuerst immer, es sei nicht genug Platz, aber Afton wollte nichts davon hören, und sie stiegen alle ins Auto. Eden saà hinten auf dem Schoà ihres Vaters. Bessie und Alma saÃen zwischen Junior und Sam. Lucius, der älteste Sohn, hatte den
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