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Cagot

Cagot

Titel: Cagot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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klären. Das gesprenkelte Sonnenlicht, das Spiel von Licht und Schatten auf der Windschutzscheibe, vertuschte die Verletzungen auf ihrer Stirn. David sah kurz forschend zu ihr hinüber, bevor er zu sprechen begann.
    »Also, ich würde sagen, wir gehen erst mal zur Polizei. Oder? Und sagen ihnen, was passiert ist.«
    Zu seiner Verwunderung schüttelte sie den Kopf.
    »Nein. Nein, auf keinen Fall… auf gar keinen Fall. Das geht leider nicht. Ich arbeite hier, ich lebe mitten unter diesen Leuten hier, sie vertrauen mir. Hier hat die ETA das Sagen. Und die Polizei sind die Spanier. Niemand geht hier zur Polizei.«
    »Aber…«
    »Und was sollte ich ihnen außerdem groß sagen? Hm?« Ihre blauen Augen blitzten. »Was soll ich ihnen sagen? Dass mich in einer Bar jemand geschlagen hat? Dann fragen sie mich nach seinem Namen … und ich müsste sagen, der Wolf. Und da hast du es dann schon … damit hätte ich einen Helden der ETA verraten, einen berühmten ETA-Kämpfer.« Ihre Miene ließ keinen Zweifel daran, dass sie alles andere als begeistert war von diesem Gedanken. »Das würde sich nicht gut auf meine Lebenserwartung auswirken. Nicht hier, im tiefsten Euskadi.«
    David nickte nachdenklich. Diese Erklärung konnte er akzeptieren. Aber ihre Antworten warfen lediglich noch mehr Fragen auf: Sie arbeitete hier? Was? Wo? Und warum?
    Er sprach sie ganz direkt darauf an. Sie wandte sich von ihm ab und starrte auf die saftigen grünen Wiesen hinaus.
    »Willst du das jetzt wissen?«
    »Ich habe jede Menge Fragen. Warum also nicht jetzt?«
    Nach einer Pause sagte sie: »Na schön, meinetwegen. Du hast mir das Leben zu retten versucht. Da hast du vielleicht ein Recht darauf, etwas über mich zu erfahren.«
    Ihr schmales Gesicht präsentierte sich ihm in einem entschlossenen Profil, als sie ihre Antworten gab.
    Sie hieß Amy Myerson. Sie war Jüdin, achtundzwanzig Jahre alt und aus London, wo sie studiert und einen Abschluss in Romanistik gemacht hatte. Jetzt war sie Dozentin an der Universität San Sebastian und unterrichtete junge Basken in englischer Literatur. Im Baskenland niedergelassen hatte sie sich, nachdem sie zwei Jahre lang mit dem Rucksack durch die Welt gereist war. »In Marokko ein bisschen zu viel gekifft, du weißt schon.«
    Er rang sich ein Lächeln ab; sie dagegen lächelte nicht. Stattdessen fuhr sie fort: »Und dann landete ich plötzlich hier, im Baskenland, zwischen den Wäldern und den Stahlwerken.« Das gesprenkelte Sonnenlicht, das durch die Bäume entlang der Straße drang, tanzte auf der Windschutzscheibe. »Und ich wurde in die Unabhängigkeitsbewegung hineingezogen. Ich habe ein paar Leute von Herri Batasuna kennengelernt, dem politischen Flügel der ETA. Die Gewalt unterstütze ich natürlich nicht … Aber die Ziele der Unabhängigkeitsbewegung halte ich grundsätzlich für richtig. Freiheit für die Basken.« Sie blickte wieder aus dem Fenster. »Warum sollten sie schließlich nicht frei sein? Die Basken sind länger hier als alle anderen. Vielleicht schon dreißigtausend Jahre. In den stillen Tälern Navarras …«
    Sie hatten inzwischen die Bidasoa-Autobahn erreicht; riesige Betonmischer rauschten an ihnen vorbei.
    »Da vorn musst du rechts abbiegen«, sagte Amy.
    David nickte; seine Lippe brannte immer noch. Sein Unterkiefer schmerzte von dem Schlag mit dem Pistolengriff. Aber er war sicher, dass nichts gebrochen war. Nach den vielen Jahren als Vollwaise, während deren er stets darauf angewiesen gewesen war, selbst auf sich aufzupassen, hatte er gelernt, seinen körperlichen Zustand richtig einzuschätzen. Seine Verletzungen, so viel wusste er, würden alle von selbst heilen. Aber ihre?
    Amy sah zu ihm herüber.
    »So, das war meine Autobiographie. Nicht gerade ein Bestseller. Jetzt bist du dran. Erzähl mal ein bisschen von dir.«
    Auch sie hatte ein Recht darauf, seine Lebensgeschichte zu erfahren.
    Rasch umriss er seine ebenso eigenartige wie abenteuerliche Vergangenheit: seine Eltern, das seltsame Erbe seines Großvaters, die Landkarte und die Kirchen. Amy Myerson machte immer größere Augen.
    »Zwei Millionen Dollar?«
    »Zwei Millionen Dollar.«
    »Wahnsinn! Zwei Millionen würde ich auch gern erben!« Sie hielt die Hand an ihre schönen weißen Zähne. »Oh, entschuldige. Dein Großvater ist eben erst gestorben. Das war nicht sehr taktvoll. Entschuldige bitte … es ist nur … dieser Tag heute …«
    »Nein, nein, mach dir keine Gedanken. Ich kann das gut verstehen.« David war nicht

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