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Cagot

Cagot

Titel: Cagot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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im zwanzigsten Jahrhundert drei Völkermorde zu verantworten. Nicht einen, nicht zwei, nein, drei: die Herero, die Witbooi und dann die Juden.« Angus schaute mit einem finsteren Grinsen durch die Gaststube. »Wie kann das angehen? Ich meine, gut, einen Völkermord kann ich ja noch verstehen - jeder macht mal einen Fehler, so was kann passieren. Sorry, da ist eben mal der Gaul mit mir durchgegangen. Aber zwei Völkermorde? Ich muss schon sagen, das finde ich etwas eigenartig. Sollte man da nicht langsam anfangen, sich Gedanken zu machen nach dem Motto: Sollten wir beim nächsten Mal nicht etwas zurückhaltender vorgehen?« Er machte eine kurze Pause. »Aber nein … das Gleiche noch einmal? Zum dritten Mal? Drei Völkermorde in Folge? Geht’s noch?«
    Er nahm einen kräftigen Schluck Bier. Simon senkte den Blick auf den Boden, auf seine Schuhe, dahin, wo es dunkel war.
    Angus trank und schwadronierte weiter. »Und da ist noch etwas. Wisst ihr, dass die Deutschen das beste Hotel von Lüderitz direkt gegenüber von Shark Island gebaut haben? Richtig reizend, nicht? Damit man vom Balkon auf das Vernichtungslager schauen kann. Damit man die Gräber im Blick hat - während man mit dem Hosenbügler zugange ist. Glaubt ihr, das war beabsichtigt, von den Architekten bewusst so geplant? Ich wäre zu gern bei der Besprechung dabei gewesen, als sie …«
    »Angus.« Amy war in das Gasthaus zurückgekommen. Aus ihrer Miene sprach neue Entschlossenheit. »Angus, halt endlich mal die Klappe.«
    Der Schotte lachte. Und dann entschuldigte er sich. Und dann lachte er noch einmal - voller Bitterkeit - und hielt den Mund.
    Bei der Erwähnung von Shark Island musste David an Namibia denken. An ihren Besuch im Völkermordmuseum. An die Hereroschädel.
    An den obszönen Nazischerz.
    »Wisst ihr was …«, begann er, sehr langsam. »Wie kommen wir eigentlich darauf, dass hier noch eine Synagoge stehen könnte? In Pskov. Wo die Nazis doch alle Juden umgebracht haben.«
    »Aber sie ist in der Karte eingezeichnet«, sagte Amy. »Warum sollte sie darauf eingetragen worden sein, wenn sie zerstört wurde?«
    David beugte sich zu ihr.
    »Vielleicht… wurde sie ja gar nicht zerstört, sondern zu etwas anderem umfunktioniert, wahrscheinlich schon vor dem Krieg. Die Synagoge muss als etwas anderes getarnt sein.«
    »Als was, zum Beispiel?«
    »Als etwas Geschmackloses, etwas Beleidigendes. Noch so ein makabrer Scherz wie in Lüderitz.« Angus nickte.
    »Ja, stimmt. Manche Synagogen haben die Nazis als Schweineställe genutzt, andere als Nachtclubs. Um den jüdischen Glauben zu verhöhnen. Selbstverständlich …«
    Amy schüttelte den Kopf.
    »In Pskov gibt es keinen Nachtclub. Es ist so winzig - hier gibt es rein gar nichts, keine Discos, keine Schweinefarmen, absolut nichts.«
    Der Bauer am Nachbartisch hatte seine Schweinshaxe verdrückt und rülpste ausgiebig. Simon deutete zum anderen Ende der Gaststube.
    »Was ist zum Beispiel damit? Schaut mal.«
    Alle drehten sich in die angegebene Richtung. Ganz oben in der Wand, auf die Simon zeigte, war ein schmutziges kleines, altes Fenster. Sein Glas war tief weinrot gefärbt und ließ kaum Licht herein.
    Doch der schwache Schein der Budvar-Reklame über dem Eingang des Gasthauses genügte, um das Muster des Bleiglasfensters erkennen zu lassen.
    Ein Davidstern.

47
     
    Der Wirt reagierte zunächst mit Desinteresse auf ihre Fragen und auf ihre seltsame Bitte - bis ihm David dreihundert Euro anbot.
    Von diesem Moment an war er geradezu zuvorkommend und führte sie umgehend in ein Lager im hinteren Teil des Gasthauses. Die Rückwand des Raums, vor der mehrere Metallfässer gestapelt waren, war mit hebräischen Schriftzeichen bedeckt.
    »Räumen Sie die Fässer weg«, forderte Amy den Wirt auf. »Hier muss das Tabernakel gewesen sein.«
    Die Fässer wurden unter lautem Scheppern und Dröhnen entfernt, aber dahinter war … nichts. Dennoch mischte sich ein Hauch von Erleichterung in Davids Enttäuschung. Ein Teil von ihm wollte gar nicht wissen, was unter dem Schloss versteckt war: der endgültige Beweis dafür, was es mit seinem Blut auf sich hatte. Aber ein anderer Teil wollte es unbedingt wissen.
    Der Wirt sah sie fragend an. Er hatte die Arme über der Brust verschränkt. Seine weiße Jacke war voller Flecken. Schließlich sagte er: »Die Judentür?«
    »Ja!«
    »Hier.«
    Er zeigte in eine dunkle Ecke des Lagers. Dort befand sich eine kleine Holztür in der Wand. Aufgeregt übersetzte Amy, was der

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