Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
einzugestehen - du brauchtest mich nie. Ich hatte deinen Gaben nichts hinzuzufügen.“
„Und ich ..." Sie schluckte und begann noch einmal. „Ich war immer die unvollkommenste aller Töchter, und das bereits seit meiner Geburt.“
„Um Gottes willen, sprichst du etwa von deinem Fuß?“ Ihr Vater erhob sich und ging erregt auf und ab. „Das kannst du doch nicht ernsthaft glauben.“ Er wandte ihr den Rücken zu und betrachtete wieder das Gemälde. Der Künstler hatte den rätselhaften Blick und das sanfte Lächeln ihrer Mutter trefflich eingefangen. „Bei deiner Geburt erklärte deine Mutter, du seiest das Kind, welches sie sich immer gewünscht habe. Während der letzten Momente ihres Lebens hielt sie dich in den Armen und weinte vor Freude. Und ich“ - er blickte Abigail wieder an - „ich weinte ebenfalls. Du warst ihr letztes Geschenk für mich. Wie könnte ich etwas anderes als Zuneigung zu dir empfinden?“
Abigail brauchte mehrere Anläufe, ehe sie ihre Stimme wieder fand. „Wenn das stimmt, weshalb hast du mir dann immer meine Unbeholfenheit vorgeworfen?“
Bestürzt blickte er sie an. „Mein liebes Kind, jedes Mal, wenn ich dich stolpern oder gar fallen sah, litt ich tausend Qualen. Ich ahnte nicht, dass du das als Vorwurf betrachtetest. Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich alles dafür gegeben hätte, um dir den Schmerz zu ersparen, den du all die Jahre erlitten hast?“
Abigail schwankte und vermochte kaum zu sprechen; dennoch zwang sie sich dazu, noch ein Letztes zu sagen, das Wahrhafteste in ihrem H erzen: „Vater, ich begehrte immer nur das Eine von dir.“
„Das erkenne ich nun endlich auch.“ Langsam setzte er sich wieder und schaute sie über den Schreibtisch hinweg an. „Ist es jetzt zu spät, dir das zu geben?“
31. KAPITEL
D ie Nacht war kalt, und es war schon spät. Jamies Haar war noch nass vom Baden, als er am Fenster seines Zimmers stand und auf das Nachbarhaus starrte.
Um dem zu entkommen, was er jetzt fühlte, war er auf Oscar so lange und hart übers Land geritten, bis Ross und Reiter beinahe vor Erschöpfung umfielen. Er hatte sich einer Gruppe Kanalschleusenwärter von Georgetown angeschlossen und bei deren nächtlichen Raufereien mitgemischt, doch selbst einige Runden Boxkampf mit nackten Fäusten konnten seine Gedanken nicht auslöschen. Der quälende Schmerz blieb in seinem Bewusstsein hängen, und als er endlich wieder zu Hause war, kam er umso stärker zu ihm zurück.
Jetzt befand er sich in se in em Zimmer, und ihm fehlte jede Möglichkeit, seinen Geist bis zur Bewusstlosigkeit zu erschöpfen. Nebenan waren alle Lichter gelöscht worden, doch er überlegte, ob Abigail auf dem Dach erscheinen und ihre einsame Untersuchung des Nachthimmels fortsetzen würde. Täte sie es, wäre er bestimmt versucht, zu ihr zu gehen. Andererseits wusste er genau, dass er sich das nicht gestatten würde. Es wäre zu gefährlich, und es hätte auch keinen Sinn.
Ach, wie sie ihm unausgesetzt durch den Kopf ging! Er fühlte noch immer die weiche Wärme ihrer unschuldigen Hingabe, und er hörte das leise Echo ihres geflüsterten „Ich liebe dich“.
Diese Liebeserklärung würde für den Rest seines Lebens in seinem Innern wohnen als bitter-süße Erinnerung an die ungewöhnliche Freundschaft mit einer Frau, die glaubte, er könnte so viel mehr sein, als er tatsächlich war.
Doch damit hatte es jetzt ein Ende. Vor ihm und ihr lagen unterschiedliche Pfade. Jamie knirschte mit den Zähnen und fühlte den Verlust wie einen körperlichen Schmerz, der auf seine Art hef tiger war als jede Folter, die er in einer feuchten Zelle in einem weit entfernten Land durchlitten hatte.
Das leere Gebäude schien zu seufzen. Nachdem Rowan jetzt fort war und die vielen Apparaturen mit ihm, verfügte Jamie über das ganze Haus. Aber er wollte es nicht für lange Zeit behalten. Er konnte nicht der Versuchung so nahe bleiben.
Unten klopfte jemand. Jamie fuhr zusammen und wickelte sich dann das Trockentuch rasch um die Taille. Das musste Abigail sein; wer sonst würde ihn zu dieser späten Stunde besuchen?
Er blieb, wo er war, und wartete darauf, dass sie wieder fortginge. Es hätte ihn nicht überraschen sollen, dass die Vordertür geöffnet wurde und er danach Schritte auf der Treppe hörte.
Verdammt, dachte er, jetzt will sie mich wahrscheinlich auch noch verspotten!
Sofort fühlte er Hitze in sich aufsteigen. Mit seinem Hausmantel bekleidet, erwartete er die Besucherin oben auf der Treppe.
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