Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
ansehen?“ Das Strahlen auf Abigails Gesicht verschwand, genauso wie ihr Selbstvertrauen. „Ich kann nicht.“
„Du hast doch all diese Briefe geschrieben, nur damit er als Freier herkommt!“
Abigail lächelte ein wenig traurig und auch rätselhaft. Wie sie da, umgeben von Licht und Schatten, im Türrahmen des Wohnzimmers stand, sah sie aus wie ein Porträt der Präraffaeliten. Sie schaute Jamie an, und er hatte plötzlich das Gefühl, als wäre es in diesem Zimmer entschieden zu heiß.
„Das funktioniert nicht“, erklärte sie leise. „Wenn es auch für eine ganze Weile großen Spaß gemacht hat, so zu tun, als ob.“
„Butler kommt doch wegen der Briefe!“ Helena ließ den Fenstervorhang zurückfallen und wandte sich zu der Schwester um. „Sobald ich den Mund aufmache, merkt er, dass ich diese klugen, poetischen Briefe niemals geschrieben haben kann. Es ist deine und nicht meine Aufgabe, ihm die Wahrheit zu sagen. Darüber sprachen wir doch schon heute Morgen! Da du jetzt auch ein neues Gewand trägst, hast du keine Ausrede mehr, dich wegen deines Aussehens zu schämen.“
„Du irrst dich, ich ...“
„Ach ja? Das werden wir ja sehen.“ Entschlossen ging Helena zur Tür.
„Was hast du vor?“
„Na, was meinst du denn? Es ist doch ungehörig, einen Gentleman warten zu lassen.“
21. KAPITEL
T rotz des munter flackernden Feuers, das im Kamin brannte, fröstelte Flelena. Mit eiskalten Fingern strich sie an ihrem Gewand herunter, um die Falten zu glätten.
Noch heute Morgen war sie bereit gewesen, sich zu Gunsten der wahren Liebe ihrem Vater zu widersetzen, doch vor dieser Torheit hatte Michael sie bewahrt. Seine grausame Zurückweisung hatte ihr Herz in Eis verwandelt und sie taub gemacht für den Schmerz, den sie einfach nicht fühlen wollte. Ich hätte mich gar nicht erst in diesen Mann verlieben dürfen, dachte sie.
Der Einzige, auf den sie sich wirklich verlassen konnte, war Papa, doch von nun an sollte das anders werden. Es ließ sich nicht ändern, denn im Gegensatz zu dem, was Michael glaubte, hatte sie jetzt das Leben eines weiteren Menschen zu bedenken.
Es wird Zeit, dass ich erwachsen werde, sagte sie sich und straffte die Schultern. Und als Erstes wollte sie ihre Reife dadurch beweisen, dass sie den Mann ehelichte, den ihr Vater für sie auserkoren hatte.
Als sie in den Salon trat, in dem Leutnant Butler wartete, glaubte sie, von einer seelenreinigenden Entschlossenheit durchdrungen zu sein. Stattdessen jedoch wurde sie von Panik überwältigt.
Vermutlich hatte sie sich durch ein Geräusch verraten, denn der Leutnant, der vor dem Feuer Posten bezogen hatte, drehte sich sofort herum.
In seiner frischen Galauniform mit den goldverzierten Schulterstücken sah er so blendend aus wie eine Statue auf einem Kriegerdenkmal. Er verschlang sie mit seinem Blick, bevor er zu sprechen anhob.
„Meine teure Miss Cabot! Jede Stunde, in der wir voneinander getrennt waren, erschien mir wie eine Ewigkeit.“
Mit einem kunstvoll arrangierten Bukett aus Gardenien und rosa Nelken in den Händen durchquerte er den Salon. Helena nahm das Gesteck mit einem beklommenen Lächeln entgegen und stellte es auf ein Tischchen.
Der Leutnant schien nicht zu bemerken, wie entsetzlich kalt es in diesem Zimmer war. Mit einer eleganten Bewegung seiner Finger zog er seine Taschenuhr hervor und ließ den Deckel aufspringen. „Ihr Vater wünschte das Treffen um vier Uhr“, teilte er Helena mit. „Nach meiner Rechnung verbleiben uns also noch vierunddreißig Minuten.“
Kein Wunder, dass Abigail ihn mag, dachte Helena; mit der Präzision und den Zahlen nimmt er es offenbar ebenso genau wie sie.
„Und dann können wir ihm sofort unsere Pläne darlegen“, fügte Butler hinzu.
Helena sank in einen Sessel. „Pläne?“
„Pläne, die Sie in Ihrem letzten Brief umrissen haben.“
„Ich fürchte, ich entsinne mich nicht.“
Er runzelte ein wenig die Stirn. „Die Hochzeit zu Weihnachten. Die Flitterwochen in Südamerika.“
„Natürlich in Südamerika“, murmelte Helena. „In der südlichen Hemisphäre soll es dann ja eine komplette Sonnenfinsternis geben, und die will ich selbstverständlich sehen.“
„Wie meinen Sie bitte?“
Helena winkte ab. „Vergessen Sie’s. Bringen wir es hinter uns. Soll ich nach Tee läuten?“
„Teuerste, stimmt etwas nicht?“
Eine Stimme in Helena schrie verzweifelt auf; konnte er das nicht hören? Und hörte Michael es nicht?
„Was soll denn nicht stimmen?“
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