Calibans Krieg
Bonuszahlungen und Beförderungen vorschlagen.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Avasarala.
Er wartete ein wenig vorgebeugt und stand dabei fast auf den Zehenspitzen. Er wartete auf ihren Befehl, Bobbie festzunehmen und vom Geheimdienst umfassend vernehmen zu lassen. Eine umfassende Vernehmung durch den Geheimdienst war ein höchst obszöner Euphemismus für die Behandlung, die Bobbie drohte, doch sie befanden sich im Krieg mit dem Mars, und ein wichtiger Agent, der im Herzen der UN platziert worden war, musste über sehr wertvolle Informationen verfügen.
Warum reagiere ich nicht auf diese Neuigkeiten?
Sie langte nach dem Bildschirm, hielt inne und zog mit gerunzelter Stirn die Hand zurück.
»Madam?«
Es war nur eine Kleinigkeit, mit der sie zudem überhaupt nicht gerechnet hatte. Soren biss sich auf die Unterlippe. Es war eine winzige Bewegung, fast unsichtbar. Wie ein Hinweis am Pokertisch. Als sie es sah, wusste Avasarala Bescheid.
Sie hatte keinen bewussten Gedanken gefasst und es sich nicht richtig überlegt, es gab kein Für und Wider und kein Zögern. Es war schlagartig da und stand ihr so klar vor Augen, als hätte sie es schon immer gewusst, vollständig und perfekt. Soren war nervös, weil der Bericht, den sie betrachtete, einer sorgfältigen Prüfung nicht standhalten würde.
Er würde nicht standhalten, weil er eine Fälschung war.
Er war gefälscht, weil Soren für jemand anders arbeitete. Für jemanden, der die Informationen, die auf Avasaralas Schreibtisch gelangten, kontrollieren wollte. Nguyen hatte seine kleine Flotte ohne ihr Wissen neu zusammengestellt, weil Soren derjenige war, der die Datenströme überwachte. Jemand hatte gewusst, dass sie kontrolliert und behindert werden musste. Die Vorbereitungen dafür hatten bereits begonnen, bevor Ganymed zum Teufel gegangen war. Jemand hatte das Monster auf Ganymed vorhergesehen.
Also war es Errinwright.
Er hatte ihr die Friedensverhandlungen zugestanden und sie glauben gemacht, sie hätte Nguyen ausgeschaltet, er hatte sie Bobbie in ihren Stab aufnehmen lassen. Alles nur, damit sie keinen Verdacht schöpfte.
Es war kein Bruchstück von der Venus, das entkommen war. Es war ein Militärprojekt. Eine von der Erde entwickelte Waffe, um den Rivalen zu zerschmettern, ehe das außerirdische Projekt auf der Venus mit dem fertig war, was es da tat. Jemand – wahrscheinlich Mao-Kwikowski – hatte in einem gesicherten und abgelegenen Labor eine Probe des Protomoleküls zurückgehalten und versteigert.
Der Angriff auf Ganymed war einerseits der Beweis gewesen, dass die Waffe zum Angriff eingesetzt werden konnte, und hatte andererseits der Lebensmittelversorgung der äußeren Planeten einen empfindlichen Schlag versetzt. Die AAP hatte nie auf der Liste der Bieter gestanden. Nguyen war ins Jupitersystem geflogen, um die Ware abzuholen, doch James Holden und sein Botaniker waren darauf gestoßen, und Mars hatte fürchten müssen, in dem Handel den Kürzeren zu ziehen.
Avasarala fragte sich, wie viel Errinwright Jules-Pierre Mao zugestanden hatte, um den Mars zu überbieten. Es musste sich um mehr als nur Geld gehandelt haben.
Die Erde war drauf und dran, das Protomolekül waffentauglich zu machen, und Errinwright hatte Avasarala kaltgestellt, weil er wusste, dass ihr nicht gefallen würde, was er damit vorhatte. Sie war einer der wenigen Menschen im Sonnensystem, die fähig gewesen wären, ihn aufzuhalten.
Jetzt fragte sie sich, ob sie immer noch dazu in der Lage war.
»Danke, Soren«, sagte sie. »Ich weiß das sehr zu schätzen. Wissen wir, wo sie ist?«
»Sie sucht Sie.« Soren lächelte ein wenig verschlagen. »Sie könnte jedoch den Eindruck haben, dass Sie schlafen. Es ist schon ziemlich spät.«
»Schlafen? Ja, daran kann ich mich vage erinnern«, antwortete Avasarala. »Also gut. Ich muss mit Errinwright reden.«
»Soll ich sie verhaften?«
»Nein, tun Sie das nicht.«
Die Enttäuschung war ihm fast nicht anzumerken.
»Wie sollen wir denn weiter vorgehen?«, erkundigte er sich.
»Ich rede mit Errinwright«, sagte sie. »Könnten Sie mir einen Tee besorgen?«
»Ja, Madam.« Er verneigte sich mehrmals, als er das Büro verließ.
Avasarala lehnte sich zurück. Sie war völlig ruhig, ihr Körper war entspannt und gelassen wie nach einer ausgedehnten tiefen Meditation. Schließlich forderte sie die Verbindung an und fragte sich, wie schnell Errinwright oder sein Assistent antworten würden. Kaum dass sie die Anforderung
Weitere Kostenlose Bücher