Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End
Wattebausch und säuberte ihr Gesicht, die Ohren und die Augen. Sie wand sich ein wenig und leckte sich über die Lippen. Eine Kinderstimme sagte: »Oh, hat die ne kleine Zunge, schau.«
Der Kopf des Babys war noch mit Blut und Schleim verschmiert, also sagte ich: »Ich werde ihr jetzt die Haare waschen.«
Ein kleiner Junge auf der Fensterbank sagte: »Ich krieg nich gern die Haare gewaschen.«
»Halt den Mund, ja?«, sagte ein kleines Mädchen herrisch.
»Nö. Halt selber den Mund, Miss Wichtig!«
»Mach ich nich. Wart ab …«
»Gut jetzt«, sagte Ivy drohend, »noch ein Wort, egal von wem, und ihr seid beide draußen.«
Totenstille!
Ich sagte: »Ich nehme keine Seife, denn du weißt ja, wenn Seife in die Augen kommt, dann wirds schlimm.«
Ich hielt das Baby in meiner linken Hand, mit dem Gesicht nach oben und dem Kopf über der Wanne, ließ etwas Wasser sanft über seinen Kopf rinnen und wischte ihn mit einem Wattebausch ab. Vor allem wollte ich das Blut abwaschen. Im Wesentlichen sollte das Baby nur netter anzusehen sein. Die Käseschmiere und den Schleim lässt man am besten zum größten Teil auf der Haut, denn sie bieten ihr Schutz. Ich trocknete Carol mit dem Handtuch ab und sagte zu dem Jungen auf der Fensterbank:
»So, das war doch jetzt nicht schlimm, oder?«
Er sagte nichts. Er sah mich nur voller Ernst an und schüttelte den Kopf.
Ich lockerte die Flanelldecke, sodass das Baby nackt auf meinen Knien lag. Alle hielten den Atem an und einige Stimmen riefen: »Was ist das denn?«
»Das ist ein Teil der Nabelschnur«, erklärte ich. »Als Carol noch im Bauch ihrer Mama war, gab es eine Schnur, die sie mit ihrer Mutter verbunden hat. Jetzt, wo sie auf der Welt ist, haben wir sie abgeschnitten, denn sie braucht sie nicht mehr. Ihr habt alle so eine Schnur gehabt, und zwar da, wo heute euer Nabel ist.«
Eine ganze Reihe Röcke wurden hochgehoben und Hosen heruntergelassen, um mir voller Stolz die entsprechenden Nabel zu präsentieren.
Ich nahm das Baby in die linke Hand, während sein Kopf auf meinem Unterarm ruhte, und tauchte seinen ganzen Körper ins Wasser. Carol ruderte mit ihren Armen und Beinen, trat und planschte. Alle Kinder lachten und hätten am liebsten mitgemacht.
Ivy sagte mit ernster Stimme: »Hört mir gut zu. Kein Krach, bitte. Ihr wollt doch das Baby nich erschrecken.«
Sofort herrschte Ruhe.
Ich tupfte das Baby mit dem Handtuch trocken und sagte: »Jetzt müssen wir ihr etwas anziehen.«
Natürlich wollten alle Mädchen mithelfen. Es war, wie eine Puppe einzukleiden. Doch Ivy hielt sie zurück und versprach, sie könnten Carol später anziehen, wenn sie etwas größer geworden sei. In diesem Moment stieß plötzlich ein kleines Mädchen einen Schrei aus: »Da ist ja Percy! Da ist Percy! Er kommt, um sich das Baby anzusehen. Er weiß Bescheid und will Hallo sagen.«
Die Kinder quietschten und mit Ivys Disziplin war es nicht mehr weit her. Alle zeigten in die gleiche Richtung und scharten sich um etwas auf dem Boden.
Ich folgte ihren Blicken und sah zu meinem großen Erstaunen, wie sich langsam und würdig eine riesige Schildkröte unter dem Bett hervorschob. Sie sah aus, als sei sie hundert oder mehr Jahre alt. Dave brüllte vor Lachen. »Natürlich will er das Baby besuchen. Er weiß Bescheid. Er ist ein ganz schlauer, unser Percy.« Er hob die Schildkröte auf, die Kinder kitzelten seine runzlige, alte Haut und betasteten seine harten Fußnägel.
»Vielleicht will er jetzt sein Weihnachtsdinner. Wir suchen was für ihn, ja?«, sagte Dave.
Die meisten Kinder zeigten jetzt mehr Interesse an der Schildkröte als an dem Baby und Ivy war so schlau zu sagen: »Dann geht jetzt mal alle nach unten un kümmert euch um Percys Weihnachtsdinner.«
Die Kinder verschwanden wieder und ich erfuhr den Grund für diese plötzliche Erscheinung. Percy verbrachte den Winter in einem Pappkarton unter dem Bett und hielt Winterschlaf. Im Schlafzimmer war es meistens kalt. Die Wärme des Feuers und vielleicht auch das geschäftige Treiben über mehrere Stunden mussten ihn aufgeweckt haben, und da er wohl glaubte, es sei Frühling, war er erschienen. Perfektes Timing, wie es im Theater heißt.
Bis ich zusammengepackt hatte und fertig zum Aufbruch war, war es sieben Uhr. Doch Dave ließ mich nicht fort. »Kommen Sie, Schwester. Es ist Weihnachten. Und wir müssen das Baby doch begießen.«
Er zog mich ins Hinterzimmer, wo es eine Bar gab.
»Was darfs denn sein?«
Ich musste kurz nachdenken.
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