Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End
wirst schon sehen, Mary, Mary, quite contrary .« *
Mary erzählte mir, dass es ihr dort überhaupt nicht gefiel und sie am liebsten gegangen wäre.
»Und warum hast du das dann nicht gemacht?«, fragte ich.
»Weil Zakir in der Ecke saß und ich mich um nichts in der Welt von ihm losreißen konnte.«
Ich vermutete, dass er genau so die meisten seiner Mädchen bekam und halten konnte.
Ich sagte: »Hättest du gewusst, in was für ein Leben er dich da hineinzieht, wärst du dann gegangen?«
Sie dachte nach und sagte: »Am Anfang, glaube ich, noch nicht. Erst als ich sah, wie er nach und nach andere junge Mädchen mitbrachte und mit ihnen an seinem Ecktisch saß, verstand ich, was er meinte, als er sagte, er sei der ›Fleischeinkäufer‹. Ich wollte zu dem Mädchen laufen, das da gerade saß, und sie warnen, aber ich konnte nicht und überhaupt wäre das keine gute Idee gewesen.«
An diesem Abend hatte Mary ihre ersten Kunden. Sie wurde als Jungfrau versteigert und der Höchstbietende bekam sie zuerst. Danach kamen noch acht andere. Am nächsten Tag legte Zakir seinen Arm um sie und sagte, er sei sehr zufrieden mit ihr. Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln und sie schmolz dahin.
Monatelang zehrte sie von diesem Lächeln, denn hin und wieder ließ er sich erneut dazu herab. Während der ersten Woche bestanden ihre Kunden aus den Männern, die ins Café kamen. Ihr Geld gaben sie Onkel. Sie hasste die Arbeit und fand die Männer ekelerregend, aber Dolores und viele der anderen Mädchen sagten: »Du wirst dich dran gewöhnen.«
Doch erst als man sie hinaus auf die Straße stieß und verlangte, dass sie sich selbst Kunden suchte, nahm der wahre Schrecken seinen Lauf.
»Ich musste jeden Tag ein Pfund verdienen«, sagte sie. »Wenn ich es nicht schaffte, schlug mich Onkel ins Gesicht oder er stieß mich um und trat mich. Am Anfang habe ich zwei Shilling [zehn Pence] verlangt, aber da waren so viele andere Mädchen auf dem Strich, die nur Sixpence oder einen Shilling nahmen, dass ich meinen Preis auch senken musste. Manchmal brachte ich die Männer mit ins Café, aber manchmal haben wir es auch einfach nur in den Gassen oder Hauseingängen, mit dem Rücken zur Wand oder sonst wo gemacht – sogar auf den Trümmergrundstücken. Ich habe mich gehasst. Es gab fürchterliche Streitereien zwischen den Mädchen, wer wo seinen Platz hatte, und auch die Männer stritten. Wenn ein Mädchen versuchte, zu einem anderen Beschützer zu wechseln, konnte es sein, dass man ihr die Kehle durchschnitt. Du kannst dir nicht vorstellen, was für fürchterliche Dinge dort vor sich gehen.
Ich war die ganze Zeit draußen unterwegs. Morgens konnte ich ein bisschen schlafen, aber jeden Nachmittag musste ich wieder los, bis fünf oder sechs am nächsten Morgen. Außer Fritten im Café, wenn ich Glück hatte, bekam ich kaum etwas zu essen. Ich habe es gehasst, aber ich konnte einfach nicht damit aufhören. Ich bin dreckig, ich bin schlecht, ich …«
Ich unterbrach sie, denn ich wollte nicht, dass sie sich weiter in ihren Selbsthass hineinsteigerte: »Aber schließlich bist du doch ausgestiegen. Was hat dich dazu bewogen?«
»Das Baby«, sagte sie leise. »Und Nelly. Ich mochte Nelly«, fuhr sie fort. »Sie war das einzige Mädchen, das immer nett zu den anderen Mädchen war. Sie hat sich nie gestritten und war nie gehässig zu anderen. Sie kam aus einem Waisenhaus in Glasgow und hat nie erfahren, wer ihre Eltern waren. Geschwister hatte sie auch nicht. Ich glaube, sie war immer schon einsam, denn im tiefsten Inneren war sie immer auf der Suche nach jemandem, der zu ihr gehörte. Sie war zwei Jahre älter als ich.«
Dann erzählte mir Mary die schreckliche Wahrheit.
»Gloria fand heraus, das Nelly ein Baby erwartete. Das war früher auch schon mal passiert, andere Mädchen waren schwanger geworden, aber ich bekam nicht viel davon mit, weil sie nicht meine Freundinnen waren. Gloria kümmerte sich und dann kam eine Frau zu uns. Ich weiß nicht, wer es war, aber die Mädchen sagten, dass sie es immer erledigte. Es war Morgen, ich schlief noch, denn ich war die ganze Nacht draußen gewesen. Dann hörte ich schreckliche Schreie und wusste sofort, dass das Nellys Stimme war. Ich rannte nach unten und fand sie in einem kleinen Zimmer. Sie lag schreiend auf dem Bett und Gloria und zwei andere Mädchen hielten ihre Beine auseinander, während diese Frau Dinger, die wie Stricknadeln aussahen, in sie stach. Ich stürmte hinein, nahm Nelly in die
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