Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Titel: Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Worth
Vom Netzwerk:
Kerle mit den Schlagringen, den Mary am Abend zuvor gesehen und der das Geld von den Männern entgegengenommen hatte. Er war kräftig und hatte einen dicken Bauch, der ihm über den Gürtel hing. In schmutzigen Pantoffeln schlurfte er über den Boden. Seine Arme waren mit Tätowierungen bedeckt, sein Gesicht war furchteinflößend und ließ Mary schweigend erstarren. Sie schlich sich davon, hinaus in den Hof. Es war Onkel.
    »Komm her«, rief er.
    Mary hatte keine Kraft, sich zu weigern. Zitternd stand sie vor ihm. Er blickte sie nur mit seinen starren, schwarzen Augen an und zog an seinem Zigarettenstummel. Er hob eine kurzfingrige Hand, packte ihre Schulter, drückte ihren Kopf zur Seite und sagte: »Biste ’n braves Mädchen un gehorchs mir, pass ich auf dich auf. Biste ’n böses Mädchen …« Er beendete den Satz nicht, sondern presste nur die Lippen zusammen und hielt Mary die Faust unter das Gesicht.
    Dann sagte er zu Gloria: »Nimm sie mit«, und ging hinaus.

    Das alte Haus bestand aus dem Laden mit seinem Hinterhof, zwei Zimmern im Keller und etwa acht Zimmern in den oberen Stockwerken. Alle Zimmer waren durch dünne Trennwände in drei oder vier kleine Zellen aufgeteilt. In jeder Zelle stand ein schmales Bett und in einigen sogar Etagenbetten mit vier bis sechs Matratzen. Alle Betten waren dreckig und hatten als einzige Bettwäsche graue, ausgemusterte Armeedecken.
    Mary wurde nach oben geführt, an dem gold- und silberverzierten Zimmer, wo sie die Nacht mit Zakir verbracht hatte, vorbei bis ins oberste Stockwerk. Im Dachgeschoss lagen etwa zwanzig Mädchen auf dem Boden oder in Etagenbetten. Die meisten schliefen.
    Gloria sagte: »Du bleibst hier. Wir brauchen dich später.«
    Mary setzte sich in einer Ecke auf den Boden. Ihr ganzes Leben lang hatte sie in Armut gelebt und, seit sie Dublin verlassen hatte, nur in ärmlichen, provisorischen Unterkünften oder im Freien geschlafen, also war sie weder erstaunt noch enttäuscht. Auf dem Speicher war es heiß und so schlief sie bald ein.
    Gegen zwei Uhr wachte sie auf, weil sich im Zimmer etwas regte. Die meisten der Mädchen gingen gerade hinaus. Sie stand auf, doch es hieß, sie solle bleiben, wo sie war. Sie blieb den ganzen Nachmittag über auf dem heißen Speicher und hörte nur das laute Schnarchen des Mädchens, das sie auf dem Tisch tanzen sehen hatte. Sie hatte nichts gegessen und nichts getrunken und vertrieb sich die Zeit damit, von Zakir zu träumen.
    Am frühen Abend wachte das Mädchen auf. Es hieß Dolores und war etwa zwanzig, eine lebhafte, dralle Göre, die seit ihrer Kindheit Prostituierte war. Sie kannte kein anderes Leben und konnte sich nicht vorstellen, ihren Lebensunterhalt auf andere Art zu verdienen. Sie setzte sich schlaftrunken auf und bemerkte Mary. »Biste neu?«, fragte sie.
    Mary nickte.
    »Armes, kleines Ding«, sagte sie. »Mach dir nichts draus, du gewöhnst dich dran. Wenn man sich dran gewöhnt hat, ist es in Ordnung. Was man braucht, ist ein besonderer Trick, so wie ich ihn draufhabe. Ich bin Stripperin, aber keine Allerweltsstripperin. Ich bin Artistin.« Sie betonte das Wort mit großem Stolz.
    »Komm, wir gehen besser runter ins Café, bevor Gloria hochkommt. Du brauchst eine saubere Bluse – hier, nimm eine von meinen. Und du musst dich schminken. Ich mach das.«
    Sie schwatzte, während sie sich anzog, ihr Haar zurechtmachte, Mary frisierte und ihr und sich selbst das Gesicht schminkte. Mary mochte sie. Ihre optimistische Fröhlichkeit wirkte ansteckend.
    »Fertig, jetzt siehst du ganz süß aus.«
    Eigentlich sah sie grotesk aus, doch so nahm sie es nicht wahr. Wie gebannt betrachtete sie ihr geschminktes Gesicht im Spiegel.
    »Ist Zakir heute Abend hier?«, fragte sie.
    »Ja, du wirst ihm sicher begegnen, keine Angst.«
    Mary war außer sich vor Freude und folgte Dolores hinunter ins Café zum Showprogramm des Abends.
    Sie gingen zu einem größeren Tisch, wo bereits einige Mädchen saßen. Zakir saß am Ecktisch und Marys Herz machte einen Satz. Sie ging einen Schritt auf ihn zu, aber er scheuchte sie mit einer wortlosen Geste weg und so setzte sie sich traurig zu den anderen Mädchen. Sie redeten nicht viel und alle starrten sie an. Eines oder zwei zeigten ein dünnes Lächeln, während die anderen unverhohlen grimmig dreinschauten. Ein grob und schmutzig aussehendes Mädchen sagte: »Schaut sie euch doch mal an, Zakirs jüngste Erwerbung. Für wen hält sie sich eigentlich? Wir stutzen sie schon zurecht. Du

Weitere Kostenlose Bücher