Callboys - Die Schönen der Nacht
Ordnung, während Dan und Sam sich in dem Großbildfernseher im Freizeitraum einen Actionfilm mit wilden Schießereien ansahen.
Ich war ohne jede Frage die Freundin.
Elle holte eine große Schokoladentorte aus dem Kühlschrank und stellte sie auf den Tisch. „Die Karamellglasur auf dem Ding ist so dick, dass ich zehn Pfund zunehme, wenn ich sie mir nur ansehe. Lass uns etwas davon essen, bevor sie es in die Finger bekommen. Wie ich Sam kenne, ist die Torte sonst weg, bevor wir auch nur einen Bissen davon gekostet haben.“
„Er steht auf Süßes“, lachte ich, während sie frische Teller und Gabeln hervorholte. Der erste Bissen von der Torte war so gut, dass ich stöhnte.
„Ja.“ Elle seufzte und leckte die Zinken ihrer Gabel ab, während sie sich gegen den Küchentresen lehnte. „Himmlisch, nicht wahr? Der Kaffee ist gleich durchgelaufen. Wir rufen sie, wenn er fertig ist.“
Sie war nicht besonders gesprächig und füllte die Stille zwischen uns nicht mit fröhlichem Geplapper, wie es viele Frauen getan hätten, und da ich den Mund voller Torte hatte, war ich froh, keinen Small Talk halten zu müssen.
„Also“, sagte sie nach einer Minute, in der nur das Klappern der Gabeln auf den Tellern und unsere schokoladenseligen Seufzer zu hören gewesen waren. „Sam.“
Ich sah sie an und wischte meinen Mund sorgfältig mit einer Serviette ab. „Ist dies die Gelegenheit, bei der mir eine Rede darüber gehalten wird, dass ich ihn nicht verletzen darf?“
Elle sah mich überrascht an. „Nein. Hast du das jetzt von mir erwartet?“
Damit ich nicht der Versuchung erlag, mir noch ein Stück zu nehmen, stellte ich meinen Teller in den Geschirrspüler. „Ich wusste nicht, was ich erwarten sollte. Meine Beziehung mit Sam ist …“
„Kompliziert?“
„Das trifft es ziemlich gut.“
Elle schob sich eine weitere Gabel voll Torte in den Mund und seufzte glücklich. „Die Torte ist köstlich. Nun, Grace, ich bin nicht Sams Mutter, und es ist nicht meine Aufgabe, ihn zu beschützen.“
Elle holte Tassen und Untertassen aus dem Schrank, stellte Zucker bereit und nahm Sahne aus dem Kühlschrank. Die Kaffeemaschine zischte, und der gute, starke Duft von Koffein zog durch die Küche. „Sam ist ein guter Kerl. Ich kenne ihn nicht sehr gut. Ich habe erst seit Mortys Tod Gelegenheit, Zeit mit ihm zu verbringen. Nicht der günstigste Zeitpunkt, um sich ein Urteil über jemanden zu bilden, sollte man meinen.“
„So ist es wohl.“ Ich half ihr, Teelöffel zu verteilen, wich aber ihrem offenen Blick nicht aus. „Hat Sam dir etwas Bestimmtes über mich erzählt?“
„Nein. Aber ich glaube, er hat Dan einiges erzählt. Sie haben sich deswegen gestritten. Dan scheint der Meinung zu sein, dass Sam die meiste Zeit ziemlich neben der Spur ist.“ Sie lächelte und schaute in Richtung Fernsehzimmer, wo wegen irgendetwas in der laufenden Sendung Geschrei ausgebrochen war. „Der Tod seines Vaters hat Dan sehr getroffen. Und ich glaube, es ist noch schwerer für ihn, weil Sammy es leichter genommen hat.“
So wie Dan mich behandelte, wäre ich niemals auf die Idee gekommen, dass er mit mir als Sams Freundin ein Problem haben könnte, und das sagte ich Elle.
„Es geht nicht um dich“, erklärte sie mir, während sie Kaffee einschenkte. „Es geht um Sam und Dan. Ich halte mich da heraus. Aber ich möchte dir etwas sagen, Grace. Etwas, das ich weiß, von dem ich aber glaube, dass sie beide es nicht wissen … oder zumindest nicht zugeben würden.“
Ich wartete.
„Sam kommt mit dem Tod seines Vaters schlechter zurecht, als er es sich anmerken lässt. Schlechter als Dan, denke ich. Zwischen Dan und seinem Vater gab es Probleme, doch viele davon hatte er geklärt, als Morty starb. Sam hat das nicht getan. Und sosehr Dan auch seinen Kummer mit seinem Bruder teilen möchte und so wenig er zugeben will, dass er auf seinen kleinen Bruder eifersüchtig ist, weil der mal wieder ungeschoren davonzukommen scheint, glaube ich doch, dass er glücklich damit ist, der Einzige zu sein, der leidet. Dadurch kann er wegen vieler Dinge auf Sammy wütend sein, aber vorgeben, es ginge nur um diese eine Sache. Verstehst du?“
All das erklärte sie mir ganz ruhig und langsam. Sie klang, als hätte sie viel Zeit damit verbracht, über die Situation nachzudenken. Elle beeindruckte mich als eine Frau, die sehr viel über sehr viele Dinge nachdachte.
„Ich weiß. Der Tod wirkt auf jeden Menschen anders.“ Ich rührte Zucker und Sahne in
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