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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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ich selbst auch schon so an und sag es zu dir. Komm, lass mich deine Haare glatt streichen, du bist ganz zerzaust.«
    »Harry«, begann ich. Ich spielte mit meiner Haarschleife und überlegte mir gut, was ich sagen würde. »Glaubst du … glaubst du, ich könnte Lehrerin werden?«
    »Lehrerin? Das möchtest du gern werden?«, fragte er, während er mir die Schleife neu band.
    Das war es nicht, aber noch konnte ich ihm nicht sagen, was ich wirklich wollte.
    »Glaubst du, ich könnte das schaffen, Harry?«
    »Doch, das glaube ich. Hast du mit Mutter und Vater darüber gesprochen?«
    Ich überhörte seine Frage und fuhr fort: »Glaubst du, ich könnte … ach, ich weiß nicht … vielleicht in einer Telefonvermittlung arbeiten?«
    »Bestimmt würdest du das auch gut machen, wenn deine Arme lang genug werden. Steh mal still, damit ich dir die Schleife richtig binden kann. So, fertig.«
    »Harry, glaubst du, ich könnte …« Ich brach ab und sagte dann mit gespielt beiläufigem Tonfall: »… eine Wissenschaftlerin werden?«
    »Eine Wissenschaftlerin?« Er trat einen Schritt zurück. »Das scheint mir doch ziemlich abwegig, meinst du nicht?«
    Ich sah ihm direkt in die Augen. Meine Frage und seine Antwort waren zu wichtig, um dabei irgendwo anders hinzuschauen.
    »Oho«, sagte er, »jetzt verstehe ich. Das hat Großvater dir eingeredet, stimmt’s? Er setzt dir diese Flausen in den Kopf, hab ich recht? Vielleicht solltest du nicht so viel Zeit mit ihm verbringen. Wirklich, Callie, es ist völlig abwegig.«
    »Warum denn?«, fragte ich ihn ganz direkt. »Warum ist das abwegig?«
    »Weil ich noch nie davon gehört habe, dass eine Frau wissenschaftlich arbeiten kann – du vielleicht? Wie würdest du dann leben? Wo würdest du arbeiten? Sieh mal, eines Tages wirst du heiraten und viele Kinder bekommen, dann denkst du nicht mehr an solche Sachen. Willst du denn nicht dein eigenes Haus haben?«
    »Ich hab doch schon ein Haus.«
    »Du weißt genau, was ich meine.«
    Ich trat einen Schritt zurück, dann sagte ich: »Harry, wenn ich wirklich Wissenschaftlerin werden wollte – würdest du mir dann helfen?«
    Er sah mich skeptisch an. »Wobei helfen?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich, schließlich hatte ich ja noch keine Pläne. »Einfach nur helfen. Wenn ich dich brauche.«
    »Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll, mein Kätzchen.« Doch als er meinen Blick sah, fügte er hinzu: »Ich sage ja nicht nein. Ich verstehe nur einfach nicht, worauf du hinauswillst.«
    »Wenn es mir wichtig wäre …«
    »Callie, ich werde immer versuchen, alles für dich zu tun, was in meiner Macht steht, und das weißt du auch. Auch wenn du es eigentlich nicht verdient hast, nachdem du Mutter von Miss Goodacre erzählt hast. Und nun geh, ich muss diesen Brief fertig machen.«
    Ich war erleichtert, dass er das Thema wechselte.
    »Ist es ein Liebesbrief?«
    »Das geht dich gar nichts an.«
    »An Fern Spitty?«
    »Jetzt geh endlich.«
    Zwar hatte ich ihm nicht das Versprechen entlocken können, mir zu helfen, rundweg abgelehnt hatte er meine Bitte aber auch nicht. Wie ich es sah, hatte unsere Unterhaltung mit einem Patt geendet. Doch die Gespräche mit Harry und Lula waren nur Generalproben, jetzt war es Zeit für meinen Besuch bei Großpapa, diesen Schritt hatte ich nur vor mir hergeschoben.
    Ich gab Harry einen Kuss auf den gesenkten Kopf und ging hinaus auf die Veranda, wo meine übrigen Brüder schon versammelt waren, um auf das erste Glühwürmchen des Abends zu warten. Inzwischen war es kühler geworden, es gab immer weniger Insekten, bald würde die Saison ganz vorüber sein. Das war auch gut so, denn der Glühwürmchenorden war mittlerweile ganz schön schlaff und schmuddelig.
    Großpapa saß am Ende der Veranda auf einem Schaukelstuhl aus Korbgeflecht, und ich war froh, ihn etwas abseits zu sehen. Ich nahm mein Notizbuch und meinen Stift und setzte mich neben ihn. Das Ende seiner Zigarre leuchtete auf, wenn er inhalierte, und sah wie ein fettes rotes Glühwürmchen aus. Fast erwartete ich, dass gleich die wenigen übrigen Glühwürmchen angeflogen kommen würden, um die Zigarre zu umkreisen und so ihre romantischen Absichten kundzutun. (Frage fürs Notizbuch: Kann es passieren, dass ein Glühwürmchen eine Zigarre für ein Mitglied der eigenen Art hält? Ein schmerzlicher – möglicherweise fataler – Fehler.) Schweigend saßen wir da, bis Großpapa fragte: »Calpurnia, hast du vor, deinem Stuhl eine tödliche Wunde

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