Cambion Chronicles 1
Fäusten und Fingernägeln aus und hielt sie an den Schultern fest. Es brach mir das Herz. Mom war die tapferste Frau, die ich kannte, und dass es so weit kommen musste, trieb mir die Tränen in die Augen. Sie mobilisierte Kräfte, von deren Existenz ich nichts geahnt hatte, und stieß mich in die Zimmerecke. Schreiend zerrte sie an ihrem Nachthemd, zerkratzte sich Hals und Brust, als hätte sie Ausschlag, und riss sich dabei den Zugang aus dem Arm. Ein schrilles Piepen erfüllte das Zimmer. Sekunden später eilten Krankenschwestern zu Hilfe.
Mom versuchte wacker, sie abzuwehren, aber sie waren in der Überzahl.
»Nein, bitte, ich muss bei ihm sein! Er braucht mich!«, schrie sie. Ihr Rumpf hob sich vom Bett, während sie den Kopf hin und her warf. Die Adern an ihrem Hals formten sich zu einem Relief, und sie lief rot an.
»Schon gut, Mrs Marshall, entspannen Sie sich«, säuselte die Schwester beruhigend und schob ihr die Infusionsnadel wieder in den Arm.
Mom wehrte sich verzweifelt und überschüttete alle Anwesenden mit deftigen Flüchen, auch mich. Als sie merkte, dass das nichts half, versuchte sie es mit Schuldgefühlen. Sie drehte abrupt den Kopf in meine Richtung, die Locken fielen ihr über das Gesicht.
»Samara, Süße, warum tust du mir das an? Warum hältst du mich von ihm fern? Ich dachte, du würdest dich für mich freuen. Bitte, lass mich gehen«, bettelte sie, während die Schwester ihr ein Beruhigungsmittel in den Arm spritzte.
Die Last meines Kummers zog mich buchstäblich zu Boden, wo ich mich zusammenrollte und weinte. Ich merkte nicht, dass Dad da war, bis er mich in seine Arme zog und hinausführte.
»Ist ja gut, mein Püppchen, ich halte dich fest«, flüsterte er und küsste mich aufs Haar. »Deine Mutter steht unter starkem Medikamenteneinfluss. Das ist nur eine Reaktion darauf, mehr nicht.«
Mann, wenn das bloß wahr gewesen wäre. Diese Reaktion hatte nichts mit Medikamenten zu tun. In meinem Kopf raste alles durcheinander, unterschiedliche Melodien vereinten sich zu einem Konzert der Furcht. Mutlos und übermüdet, wie ich war, brauchte ich ein Ziel, ein Ventil.
Als wir in den Wartebereich kamen, standen Nadine und Caleb am Anmeldetresen und blickten mich entsetzt an.
Dad sah zu ihnen hinüber und dann zu mir herunter. »Samara, sagst du mir vielleicht mal, was hier los ist? Was machen die beiden hier?«
»Die sind meinetwegen gekommen, Dad. Ich hatte sie darum gebeten.«
»Warum? Das ist eine Familienangelegenheit.«
»Ich musste mit ihnen reden. Wenn du was dagegen hast, gehen wir woanders hin.«
»Nein. Es ist nur … « Er warf Caleb einen hitzigen Blick zu, bevor er sich ganz tief zu mir herunterbeugte. »Du benimmst dich komisch in letzter Zeit, und wenn das was mit diesem Jungen zu tun hat … «
»Dad, es liegt nicht an ihm. Wenn überhaupt, dann sorgt er dafür, dass ich nicht durchdrehe. Darum ist er hier. Er ist so eine Art Berater für mich.«
»Ganz sicher? Ich habe ein komisches Gefühl bei der Sache.«
»Das kommt nur daher, dass er ein Junge ist. Geht vorbei. Außerdem, glaubst du wirklich, ich hätte ihn zum Freund genommen, wenn ich ihn nicht vorher durch die Mangel genommen hätte?«
Das brachte ihn zum Lächeln. »Du bist wirklich die Tochter deiner Mutter.« Er sah noch einmal zu ihnen hinüber und seufzte. »Na schön, aber sie können nicht alle hier bleiben.«
»Ich weiß. Bleibst du bei Mom?«
»Ja, aber ich muss vor neun zurück nach Hause. Ich muss morgen arbeiten.«
»Ganz zu schweigen von deiner Familie zu Hause. Ich bin überrascht, dass Rhonda dich noch nicht hier rausgezerrt hat.«
»Rhonda und ich haben eine Vereinbarung, die dich nicht zu interessieren braucht. Aber ich muss tatsächlich nach Hause.« Er zog mich wieder in eine Umarmung. »Na los, ruh dich ein bisschen aus und iss was, und sag diesem Jungen, er soll seine Hände bei sich behalten.«
»Hab dich lieb, Daddy.« Ich befreite mich aus seinen Armen und ging zu Caleb hinüber.
Er stand mit aufgerissenen Augen und einem großen Fragezeichen im Gesicht da. Bevor er den Mund öffnen konnte, sagte ich: »Komm mit. Wir machen eine kleine Besprechung. Du wirst mir sagen, was du wegen deines Dads zu tun gedenkst, denn wenn du dich nicht darum kümmerst, dann kannst du verdammt sicher sein, dass ich es tun werde. Cambion hin oder her, dein Dad muss weg. Und wenn du mir dabei im Weg stehst, bist du auch weg.«
Es überraschte niemanden, dass Mr Ross den Parkplatz verlassen hatte.
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