Cambion Chronicles - Golden wie das Morgenlicht (German Edition)
weg, die sie auf dem Tresen veranstaltet hatte. Es war seltsam, die exakte Nachbildung einer toten Kollegin hier herumlaufen zu sehen, aber Alicia kam mit dem Poltergeist noch besser zurecht als die meisten anderen.
Olivia hatte innerhalb weniger Stunden einen gewissen Berühmtheitsstatus erlangt, was ihr hasserfüllte Blicke der Kundinnen einbrachte. Sie schlenderte die Gänge hinunter, erschreckte die Hälfte der Belegschaft zu Tode und verdrehte jedem Mann im Buchladen den Kopf. Gunnar hatte nicht mal versucht, unauffällig zu sein, während er die Lage checkte. Ein Gutes hatte es: Keiner der Kunden belästigte mich, außer um nach Olivias Telefonnummer zu fragen.
Ich war so ganz und gar nicht in Weihnachtsstimmung. Die Schauspieler in ihren Kostümen aus dem 18. Jahrhundert, die draußen Weihnachtslieder zum Besten gaben, verstärkten meine schlechte Laune nur noch. Zwischen den Liedern kamen einige von ihnen herein und holten sich heiße Getränke, und ich mutierte umgehend zum Mr Scrooge in ihrer Charles-Dickens-Vorstellung. Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, mussten alle Mitarbeiter für den Rest der Woche alberne Weihnachtsmützen tragen.
Abgesehen von den komischen Käuzen in ihren historischen Kostümen hatte die Stadt nicht viel an Unterhaltung zu bieten, vor allem, wenn man kein Auto hatte. Es war also keine große Überraschung, dass die Hälfte meiner Schulkameraden ins Einkaufszentrum und die Kinos einfiel. Vielleicht waren es die Weihnachtsschnäppchen oder auch die Langeweile, jedenfalls schien jeder heute mal im Laden vorbeizuschauen. Als könnten sie das Frischfleisch riechen.
Olivia kam mit einem Stapel Bücher in der Hand zum Tresen. »Die würde ich gern kaufen. Und einen Latte mit Hörnchen, bitte«, sagte sie mit einem bösen kleinen Grinsen, da sie wusste, dass ich tun musste, was sie sagte.
Ich stürzte an die Kaffeemaschine, um das gewünschte Getränk herzustellen, aber Alicia war schon dabei, und ich musste Olivias Bestellung eingeben und mit ihr plaudern. »Du weißt schon, dass vorn im Laden die Kassen sind … «
»Ja, aber Kaffee bekomme ich nur hier.« Sie warf einen Blick auf das geschäftige Treiben. »Cuppa-Joe. Interessanter Name. Meine Schwester hat echt gern hier gearbeitet. Keine Ahnung, warum sie überhaupt arbeiten wollte, aber sie war eben gern unabhängig.«
Da außer ihr niemand mehr anstand, schielte ich nach den Titeln ihrer Bücher in der Hoffnung, sie würde sich doch noch als menschliches Wesen entpuppen. Die Schrift auf einem der Bücher im Stapel kannte ich, und zum ersten Mal überhaupt war ich froh, sie zu sehen. Nachdem ich mich umgesehen hatte, ob Alicia außer Hörweite war, fragte ich: »Du magst also Der Geist ?«
»Versuchst du, eine Beziehung zu mir aufzubauen?«, gab sie zurück.
»Vielleicht. Funktioniert es denn?«
»Nicht besonders gut. Schicke Mütze übrigens. Echt politisch korrekt«, kommentierte sie. »Wenn du es unbedingt wissen willst, es ist nicht für mich. Ich kaufe das Buch für Mishka. Sie liebt die Serie und redet dauernd davon.«
»Und wie findest du sie?«, wollte ich wissen.
»Schwach. Sie stellen Geister ganz falsch dar«, erwiderte sie. »Geister sind Dämonen, die die Toten verkörpern, nicht die verweilenden Seelen der Toten. Die Dämonen geben sich als Lebende aus.«
»Interessante Theorie.« Vor allem, da sie einen Dämon in sich trug und jeder hier glaubte, sie sei Nadines Geist. Ich betrachtete die anderen Bücher in ihrem Stapel und hielt bei einem dicken Band ganz unten inne. » Die Gesamtwerke von William Shakespeare . Wow.« Ich nahm das Buch und blätterte durch die Seiten. »Du stehst also auf Shakespeare?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Wer denn nicht?«
»Du wärst überrascht. Manche kommen nicht über das hinaus, was in der Highschool verlangt wird: Romeo und Julia , Macbeth , Hamlet . Sie kommen gar nicht bis zu dem wirklich guten Zeug. Manchmal spreche ich so wie die Schauspieler in diesen Stücken.« Ich kicherte in mich hinein.
»Das klingt nach einem Symptom für Schizophrenie. Wenn ich mich nicht irre, stehen die Bücher zu Psychologie und Geisteskrankheiten im dritten Gang, falls du eine Diagnose brauchst.«
Ich überhörte die Spitze und fragte: »Welches ist dein Lieblingsstück?«
»Titus Andronicus. Gelesen?«
Ich nickte anerkennend. Ich kannte das Stück, und es war mit Abstand eine der abgefahrensten Geschichten, die es vor Sweeney Todd gegeben hatte – mit
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