Cambion Chronicles - Golden wie das Morgenlicht (German Edition)
stieß die Schatten zurück, die mein Gesichtsfeld umgaben. Hier ging es nicht um mich oder Nadine, und wenn Lilith nur einen Funken Mitgefühl in ihrem kalten, widerlichen Herzen hatte, würde sie mir diesen einen Gefallen tun und dafür sorgen, dass das Schwanken aufhörte.
Ich stieß die Luft in einem langen, kontrollierten Atemzug aus und machte die Augen wieder auf. Zu meiner Erleichterung stand alles wieder still. Die Möbel befanden sich an ihren vorgesehenen Plätzen, unversehrt und solide. Der Druck ließ nach, und der Nebel des Schwindelgefühls löste sich auf und ließ wieder Licht durch. Nadines Leiche lag immer noch auf dem Boden, und ich ahnte, dass das auch so bleiben würde. Damit würde ich umgehen können. Ich hörte Mom am Telefon reden. Olivia beobachtete mich neugierig, als wäre ich neu für sie. Vielleicht war ich das auch.
Ich legte ihr meine Hand auf den Arm, und sie zuckte zusammen, entspannte sich dann aber unter meiner Berührung. »Kannst du mir sonst noch was erzählen?«, fragte ich sie.
Nachdem sie tief Luft geholt hatte, wimmerte sie: »Er hat mir Angst gemacht. Ich wusste nicht, was er tun würde. Er hat mein Armband durchgeschnitten. Ich wusste nicht, wohin er mich bringt. Also habe ich … von ihm getrunken. Ich konnte sein Leben spüren – so viel Licht und Stärke. Er war stark, er kämpfte dagegen an, aber ich habe weitergemacht, bis … « Sie schluckte schwer. »Sein Herz setzte aus. Er fiel zu Boden und konnte nicht mehr atmen. Dann kam etwas aus seinem Mund. Keine Energie … etwas anderes.«
Mehr musste ich nicht wissen, aber Mom mischte sich von der Tür aus ein: »Ein schwarzer Nebel mit einem goldenen Licht in der Mitte?«
Olivia sah Mom aus aufgerissenen Augen durch einen Vorhang schmutziger Haarsträhnen hindurch an. »Woher wissen Sie das?«
»Gunnar war von einem Dämon namens Tobias besessen, einem Inkubus«, erklärte ich. »Das war nicht Gunnar.«
»Nein. Nein, er war es. Seine Augen waren blau. Ich habe es gesehen, Gunnar war da … Sie waren blau.«
»Vielleicht hat er dagegen angekämpft. Er ist loyal und würde alles tun, um dich zu beschützen. Vielleicht hat er das getan, damit du entkommen konntest.« Ich versuchte, etwas Tröstliches zu sagen, aber es klang selbst in meinen Ohren nicht überzeugend.
Sie schien sowieso nicht zuzuhören, sie war zu vertieft in den Fadenlauf des Teppichs. »Ich habe das Leben meines Freundes genommen. Ich habe ihn getötet. Aber ich musste. Ich musste … «
Danach bekam ich nicht mehr viel aus ihr heraus, weil sie vollkommen weggetreten war. Was auch immer sie durchgemacht hatte, es hatte sie bis ins Mark erschüttert. Und was am schlimmsten war: Sie hatte auf den niedersten Cambion-Instinkt zurückgreifen müssen, um zu überleben, auf genau das, wofür sie Caleb verachtete.
Mom legte auf und kam mit einem nassen Handtuch wieder herein. Sie kniete sich vor Olivia hin und strich ihr das Haar aus den Augen. »Olivia, Schätzchen, deine Mutter ist auf dem Weg hierher. Sie holt dich ab, ja? Du bist jetzt in Sicherheit.« Mom wischte Olivias Gesicht sauber und setzte sich neben sie aufs Sofa.
In Olivias Blick lag ein so reines, ernstes Vertrauen gegenüber Mom, dass es mir das Herz zusammenzog. Sie kannte diese Frau kaum, aber sie legte ihr ihre Qualen zu Füßen, ohne ein Wort zu sagen. Schmerz und Verzweiflung sickerten aus ihr heraus und glitten über meine Haut wie ein Wasserrinnsal. Und was ich spüren konnte, war nur das, was überlief, nur ein kleiner Teil dessen, was in ihr tobte. Wir waren fast gleich alt, aber der Tod ließ die Menschen schneller erwachsen werden.
Mom hielt Olivia im Arm und wiegte sie, und nur Augenblicke später hörte sie auf zu weinen. Wie machte die Frau das nur? Sie hatte irgendwas an sich, zu dem sich übernatürliche Wesen offenbar hingezogen fühlten. Vielleicht mochte sie Cambions und ihre Lebensführung nicht, aber auf jeden Fall mochten Cambions meine Mom.
Angie kam zwanzig Minuten später und hatte noch weniger Erfolg damit, Olivia Informationen zu entlocken. Sie sagte uns weder, wo Gunnars Leiche lag, noch, wohin er sie gebracht hatte oder ob sie einen Arzt brauchte, aber ich nahm an, ab jetzt würde Angie übernehmen. Nichts von all dem schien wichtig zu sein, solange es Olivia gut ging, aber »gut gehen« war relativ. Niemandem ging es wirklich gut, wenn er gerade jemanden getötet hatte. Das Cambion-Motto lautete: »Feiere das Leben«, denn der Tod war ein
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