Cambion Chronicles - Smaragdgrün wie die Dämmerung (German Edition)
inzwischen auf verrückte Weise ganz normal.
»Michael schläft heute Nacht hier unten«, sagte Mom. Ihre Stimme klang undeutlich wie eine rückwärts abgespielte Schallplatte. »Caleb und Haden teilen sich dein Zimmer, also musst du bei mir schlafen. Komm einfach rauf, wenn du so weit bist, ja? Samara?«
Ich kniff die Augen zu und holte tief Luft, bevor ich ihr aus dem Zimmer folgte. Sobald ich über die Schwelle trat und den zweiten Fuß auf den Holzboden in der Diele setzte, hörte es auf. Jemand schien ein luftdicht verschlossenes Einmachglas zu öffnen und den Druck in meinen Ohren mit einem lauten Knacken entweichen zu lassen. Das Haus wurde wieder still, und ich konnte meine Gedanken hören.
»Mom?«, rief ich vom Fuß der Treppe aus.
»Morgen. Wir reden morgen früh.« Mom stieg die Treppe hinauf, eine zitternde Hand am Geländer, wie eine gebrechliche, kraftlose alte Frau. Ich konnte mir nur annähernd vorstellen, was ihr durch den Kopf ging. Als der einzige normale Mensch im Haus war sie in eine Welt gestoßen worden, von deren Existenz sie nichts geahnt hatte, und wahrscheinlich wünschte sie sich, sie hätte nie davon erfahren. Ich ging zur Alarmanlage neben der Tür und überprüfte die Einstellungen.
»Morgen ist auch noch ein Tag« schien das Motto des Abends zu sein. Ich hatte eine Flut von Vorwürfen erwartet, aber niemand wollte reden. Ansehen wollte mich auch niemand, und alle hielten Abstand zu mir, als wäre mein Karma ansteckend. Calebs Brüder besetzten mein Zimmer und ließen niemanden rein, am wenigsten mich. Haden stand Wache wie ein Türsteher vor einem Nachtclub.
»Geh ins Bett, Samara«, befahl er schroff.
»Du hast mir gar nichts zu sagen«, erwiderte ich. »Das ist mein Haus!«
»Und das ist mein Bruder«, konterte er ebenso hitzig. »Es geht ihm nicht gut. Er muss seine Ruhe haben, und du könntest eine negative Reaktion auslösen. Geh schlafen. Wir reden morgen früh weiter.«
Er ließ sich nicht erweichen. Mürrisch schlurfte ich in Moms Zimmer, ging unter die Dusche und ergab mich widerstandslos ihrem kräftigen, heißen Strahl. Was sie auch taten, nichts konnte mich wirklich von Caleb fernhalten. Der brennende Schmerz, der meinen Körper überfiel, sprach eine eindeutige Sprache.
Ich war die Letzte, die sich aufs Ohr haute. Mom schlief schon, aber sie wimmerte, und ich ahnte, dass die Aufregung der Nacht sich in ihre Träume geschlichen hatten. Um ehrlich zu sein, gruselte ich mich selbst ein bisschen. Ähnlich wie im Wohnzimmer lauerten auch in ihrem Zimmer böse Erinnerungen in jedem Schatten und bewiesen, dass die Toten nicht wirklich tot waren. Grund genug für mich, zum Schlafen das Licht anzulassen.
Ich schlüpfte auf der linken Seite ins Bett und kuschelte mich an meine Mom, bis die Laute verstummten. Als ich mich auf den Bauch drehte, fühlte ich etwas Hartes und Kaltes unter meinem Kissen. Meine Finger fuhren über kühles Metall, und ich musste nicht nachsehen, was es war. Ich lächelte über dieses Stück Normalität und war erleichtert, dass sich manche Dinge nie ändern würden. Es passte zu ihr, mit einer Pistole unter dem Kopfkissen zu schlafen. Ich hoffte nur, dass sie nicht losging, wenn ich mich umdrehte.
22
A m nächsten Morgen weckte mich der Duft von Kaffee und gebratenem Speck.
Mit dem nicht zugeschwollenen Auge starrte ich den Wecker auf dem Nachttisch an. Es war kurz vor Mittag. Ich erinnerte mich nicht daran, eingeschlafen zu sein. Träume hatten mein siebenstündiges Nickerchen nicht begleitet, und das Tageslicht, das durch die Vorhänge drang, verkündete, dass ich mehr als dieses Nickerchen auch nicht bekommen würde. Ich drehte mich auf die andere Seite und sah, dass Mom schon aufgestanden war. Die blaue Tagesdecke lag ordentlich gefaltet über ihrer Seite des Betts. Die Welt drehte sich einfach weiter, und ich musste versuchen, mit ihr Schritt zu halten.
Die Erdanziehung war heute ein nicht zu unterschätzender Gegner. Sie machte mich schwerfällig und ließ mich stolpern. In meinem Kopf liefen die Ereignisse der letzten Nacht in Endlosschleife ab, und ich wünschte mir, ich könnte wieder in die stillen Tiefen des Schlafs versinken.
Ich steckte den Kopf aus Moms Zimmer und sah, dass die Tür zu meinem Zimmer weit offen stand. Dampf aus dem Bad waberte in den Flur. Ich nahm mir vor, das Gebiet später großräumig von allen Jungskeimen zu desinfizieren und nachzusehen, ob im Medizinschränkchen auch nichts fehlte. Das Gelächter aus dem
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