Camel Club 02 - Die Sammler
Selbstverständlich konnte es ebenfalls gefälscht werden, erst recht von jemandem wie Jonathan. Und hatte das Psalm Book in Jonathans Sammlung auch dieses Zeichen? Er musste es nachprüfen. Falls ja, wäre das der Beweis, dass Jonathan es aus der Bibliothek entwendet hatte. Und was sollte Caleb dann tun? Er verfluchte den Tag, an dem Jonathan ihn zum literarischen Nachlassverwalter ernannt hatte.
Und ich hatte gedacht, ich wäre dir sympathisch, Jonathan.
Den Rest des Nachmittags brachte er damit zu, mehrere Anfragen von Gelehrten und die eines bedeutenden Sammlers zu beantworten; außerdem hatte er zwei Ferngespräche – Anrufe von Universitäten in England und in der Schweiz – und war etlichen Besuchern des Lesesaals behilflich.
Heute waren Jewell English und Norman Janklow beide anwesend. Obwohl sie das gleiche Alter hatten und enthusiastische Büchersammler waren, sprachen sie nicht mehr miteinander, sondern gingen sich vollständig aus dem Weg. Caleb wusste, wie die Fehde begonnen hatte; es war eine der peinlichsten Stunden in seinem Berufsleben gewesen. English hatte Janklow eines Tages gestanden, was für eine eifrige Sammlerin von Beadle’s Dime Novels sie sei; die Reaktion des alten Grauschimmels fiel, gelinde gesagt, etwas unerwartet aus. Caleb erinnerte sich noch genau an Janklows Worte: »Beadles Machwerke sind idiotischer Schund, billiges und obendrein erbärmliches Lesefutter für die geistlose, ungebildete Unterschicht.«
Verständlicherweise hatte Jewell English dieses vernichtende Urteil über die Sammelleidenschaft ihres Lebens nicht gerade wohlwollend aufgenommen und war keineswegs geneigt, so etwas stillschweigend zu dulden. Weil sie Janklows Lieblingsautor kannte, hielt sie ihm entgegen, Hemingway wäre bestenfalls ein zweitrangiger Tastenquäler, der sich seiner vereinfachten Sprache nur deshalb bediente, weil er nichts anderes auf die Reihe kriegte. Dass er für so ein heruntergehämmertes Geschreibsel den Nobelpreis erhalten habe, sei eine Schande und habe diesen Preis aus ihrer Sicht ein für alle Mal wertlos gemacht. Um allem die Krone aufzusetzen, hatte Jewell behauptet, Hemingway wäre unwürdig gewesen, F. Scott Fitzgerald auch nur die Patentlederschuhe zu küssen, und darauf verwiesen – Caleb sträubten sich noch heute die Haare, wenn er daran dachte –, dass der angeblich so machohafte Jäger und Fischer Ernest Hemingway den Damen Männer vorgezogen habe, und zwar je jünger, umso lieber.
Janklows Gesicht war so dunkelrot angelaufen, dass Caleb ernstlich befürchtet hatte, der alte Mann würde einem Schlaganfall erliegen. Soweit Caleb sich entsann, war es das erste und einzige Mal gewesen, dass er zwei Besucher des Lesesaals der Raritätenabteilung, beide deutlich über siebzig Jahre alt, hatte trennen müssen. Es hatte nicht viel gefehlt, und es wäre zu Handgreiflichkeiten gekommen. Caleb hatte die Buchraritäten, die auf ihren Lesetischen lagen, an sich gerissen, um zu verhindern, dass sie als Waffen missbraucht wurden. Anschließend hatte er beide über angemessenes Verhalten in der Kongressbibliothek belehrt und ihnen für den Fall, dass sie künftig davon abwichen, sogar den Entzug des Besucherausweises angedroht. Janklow hatte den Eindruck gemacht, als hätte er Caleb am liebsten einen Kinnhaken verpasst, doch Caleb hatte sich nicht beeindrucken lassen. Mit dem alten Knickstiefel hätte selbst er leicht fertig werden können.
Hin und wieder hob Caleb den Blick von seinen Unterlagen, um sich zu überzeugen, dass sich ein derartiger Zusammenprall kein zweites Mal ereignete. Doch Janklow las stillvergnügt in seinem Buch. Sein langer Bleistift huschte gemächlich übers Notizpapier und kam nur ab und zu zum Stillstand, wenn er sich mit einem Tuch die dicken Brillengläser putzte. Auch Jewell Englishs Blick blieb unablässig ins Buch vertieft. Plötzlich schaute sie auf, gewahrte Calebs Aufmerksamkeit, klappte das Buch zu und winkte ihn zu sich.
»Der Beadle, von dem ich Ihnen erzählt habe …«, flüsterte sie Caleb zu, als er sich neben sie setzte.
»Die Nummer eins, ja?«
»Ich habe sie. Ich habe sie!« Lautlos schlug sie die Handflächen zusammen.
»Gratuliere, das ist ja wundervoll. Sie war also in gutem Zustand?«
»Oh ja, andernfalls hätte ich Sie nicht vorher gefragt. Ich meine, Sie sind ja ein großer Experte.«
»Zu viel der Ehre«, sagte Caleb bescheiden. Jeweils knotige Klaue ergriff seine Hand. Es befremdete ihn, wie fest sie zupacken
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