Camel Club 02 - Die Sammler
vorbei«, empfahl Leo.
Jedes Kasino hatte einen Busbahnhof, dessen Fahrzeuge vormittags um elf Uhr mit dem Pendelverkehr anfingen. Sie karrten zumeist ältere Besucher heran, die den ganzen Tag im Kasino verbrachten, ihre Rente verzockten und Junkfood mampften. Am Abend krochen sie wieder in den Bus, fuhren heim und hatten für den Rest des Monats kaum noch etwas zum Leben, aber den festen Willen zurückzukehren, sobald die nächste Rente überwiesen wurde.
Leo und Annabelle sahen die Krampfadergeschwader ins Pompeji strömen, um früh genug für den ersten Vulkanausbruch des Tages zur Stelle zu sein, und folgten ihnen langsam ins Gebäude. Sie schauten sich dort mehrere Stunden lang um und erlaubten sich ein paar Glücksspiele. Leo probierte es mit mäßigem Erfolg am Würfeltisch, während Annabelle sich beim Blackjack versuchte und mehr gewann, als sie verlor.
Später trafen sie sich an der Bar, um etwas zu trinken. Leo gaffte einer kurvenreichen, bezopften Kellnerin nach, die ein Tablett mit Getränken an einen umlagerten Würfeltisch brachte, an dem drei Reihen Wettbegierige den ersten Schritt zum Reichtum zu tun hofften. »Also?«, fragte Annabelle mit leiser Stimme.
Leo kaute Pekannüsse und schlürfte Jack Daniels mit Cola. »Blackjack-Tisch Nummer fünf«, antwortete er. »Sieht mir ganz so aus, als käme da fauler Zauber aus dem Schuh.« Er meinte den Kartenbehälter.
»Hängt der Geber mit drin?«
»Oh ja. Und was hast du zu bieten?«
Annabelle trank einen Schluck Wein, ehe sie ihm antwortete. »Am Roulettetisch da drüben ist ein ziemlich fähiges vierköpfiges Nachwetterteam zugange.«
»Ich dachte, man hätte den Spielern inzwischen eingetrichtert, ihren Einsatz einzusacken. Und was ist mit all den hochmodernen Decken- und Mikrokameras?«
»Du weißt doch, wie verrückt es am Roulettetisch zugeht, gerade deshalb ist er ja ein Mekka für das Nachwetten. Und wenn man gut ist, bleibt einem trotz des ganzen Hightech-Krimskrams alles möglich.«
Leo stieß mit Annabelle an. »Haben wir das nicht immer gewusst?«
»Wie steht’s mit der Sicherheit?«
»Nichts Besonderes. Vermutlich liegt der Geldspeicher unter tausend Tonnen Beton und wird von einer Million Wächter mit Maschinenpistolen behütet.«
»Gut, dass wir da nicht reinmüssen«, meinte Annabelle mit trockenem Humor.
»Ja, du möchtest dir ja nicht den Nagellack zerkratzen.« Er stellte das Glas ab. »Wie alt müsste Jerry jetzt sein?«
»Sechsundsechzig.«
»Ich wette, das Alter hat sein Herz nicht erweicht«, sagte Leo missmutig.
»Bestimmt nicht.« Aus Annabelles Tonfall sprach eine solche Gewissheit, dass Leo sie argwöhnisch musterte. »Man informiert sich über das Opfer, Leo, weißt du das nicht mehr? Regel Nummer eins.«
»Au verdammt, da kommt das Arschloch höchstpersönlich«, zischte Leo und drehte den Rücken in eine andere Richtung. An ihm vorüber sah Annabelle sechs Männer durch den Saal streben, alle jung, groß und kräftig. In ihrer Mitte ging ein weiterer Mann, zwar kleiner und mit einem dichten Schopf weißen Haars, aber offensichtlich sehr rüstig. Er trug einen teuren blauen Anzug und einen gelben Schlips. Jerry Baggers Gesicht war tief gebräunt. Auf einer Wange hatte er eine Narbe, und die Nase war offenbar mehrere Male gebrochen worden. Unter den buschigen weißen Brauen funkelte ein Paar verschlagener Augen. Seine Blicke huschten durchs Kasino und schienen aus seinem Imperium der Geldschlitze, Spielkarten und verflogenen Hoffnungen sämtliche interessanten Informationen aufzusaugen.
Als die Gruppe sich entfernte, drehte Leo sich wieder um und versuchte, seine Atmung zu beruhigen. »Es fügt sich nicht so gut in meinen Plan, Leo«, sagte Annabelle pikiert, »dass du schon hyperventilierst, wenn der Typ nur durchs Kasino schleicht.«
Leo hob die Hand. »Kein Grund zur Sorge, ist schon wieder vorbei.« Er atmete noch einmal tief durch.
»Wir sind ihm nie Auge in Auge begegnet. Nur seine Gorillas waren hinter uns her, um uns plattzumachen. Es ist doch nicht so, dass er dich erkennen könnte.«
»Ich weiß, ich weiß.« Leo leerte das Glas. »Und was nun?«
»Wenn die Zeit reif ist, gehen wir los. Bis dahin feilen wir an unserer Geschichte, prägen uns die Stichwörter ein und bringen alles auf Vordermann, so gut es geht, denn Jerry ist so unberechenbar, dass wir gar nicht perfekt genug sein können.«
»Ich hatte ganz vergessen, wie großartig du mich aufzumuntern verstehst.«
»Es ist besser, man
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