Camel Club 02 - Die Sammler
halten und abzudrücken. Damit wäre eine alte Rechnung beglichen worden, doch sie hätte gleichzeitig ihr Leben ruiniert. Nein, so wie sie es durchgezogen hatte, war es viel besser. Ihr Vater hatte den Griff nach dem ganz großen Geld stets abgelehnt mit dem Argument, dass es zu viel Zeit kostete und zu viele mögliche Tretminen gäbe. Tammy Conroy hingegen hätte die kunstvolle Planung und die elegante Umsetzung dieser Abzocke zu würdigen gewusst. Annabelle hoffte, dass ihre Mutter, falls sie in den Himmel gekommen war, einen Blick auf Jerry Bagger warf, wenn er erkennen musste, dass er 40 Millionen Kröten in die größte und schmerzlichste Blamage seines Lebens gesteckt hatte.
Annabelle nahm die TV-Fernbedienung zur Hand und zappte durch die Programme, während sie die Brezel verzehrte. Die Nachrichten waren wie immer: schlecht. Weitere Soldaten waren gefallen, noch mehr Menschen verhungert, wieder hatten Leute sich und ihre Mitmenschen im Namen Gottes in die Luft gesprengt. Nachdem sie vom Fernsehen die Nase voll hatte, schlug Annabelle die Zeitung auf. Alte Gewohnheiten ließen sich nur schwer ablegen: Während sie die Berichte las, fragte sie sich, ob die darin enthaltenen Informationen ihr helfen konnten, irgendwo ein Ding zu drehen. Aber damit ist es jetzt aus, rief sie sich in Erinnerung. Bagger übertölpelt zu haben bedeutete den Höhepunkt ihrer Laufbahn; was danach kam, konnte bloß noch ein Abstieg sein.
Doch als sie die letzte Meldung las, setzte sie sich so ruckartig auf, dass sie dabei Brezel und Senf aufs Bett fallen ließ. Aus großen Augen starrte sie auf das kleine, körnige Foto, das zu einem unscheinbaren Artikel auf der letzten Seite gehörte – einem kurzen Nachruf auf einen herausragenden Gelehrten. Eine Todesursache Jonathan DeHavens wurde nicht genannt; es wurde lediglich erwähnt, dass er bei der Arbeit in der Kongressbibliothek plötzlich tot umgefallen sei. Sein Ableben lag schon einige Zeit zurück; doch man hatte die Beisetzungsvorbereitungen erst jetzt abgeschlossen, und das Begräbnis sollte am morgigen Tag im D. C. stattfinden. Annabelle konnte nicht wissen, dass die Verzögerung entstanden war, weil der Gerichtsmediziner keine konkrete Todesursache hatte ermitteln können. Aber da sich kein Anfangsverdacht auf eine Straftat rechtfertigen ließ, war eine natürliche Todesursache konstatiert und der Leichnam zur Bestattung freigegeben worden.
Annabelle packte ihre Reisetasche und stopfte Kleidungsstücke hinein. Soeben hatte sie ihre Reisepläne geändert. Sie flog nach Washington, um ihrem Exmann Adieu zu sagen, Jonathan DeHaven, dem einzigen Mann, der je ihr Herz erobert hatte.
KAPITEL 28
»Oliver! Oliver!«
Langsam kam Stone zu sich und stemmte sich mühsam in eine sitzende Haltung hoch. Er hatte in voller Bekleidung auf dem Fußboden seines Friedhofsgärtnerhäuschens gelegen. Sein Haar war noch feucht.
»Oliver!« Jemand hämmerte gegen die Haustür. Stone rappelte sich taumelnd auf und öffnete. Mit belustigter Miene musterte Reuben ihn. »Was ist los? Hast du deine Schwäche für Tequila wiederentdeckt?« Doch auf den zweiten Blick gewahrte er, dass es Stone offenbar schlecht ging. »Oliver?«, fragte er besorgt. »Was ist denn?«
»Ich lebe noch. Das ist schon mal ganz erfreulich.«
Er winkte Reuben ins Haus und brachte die nächsten zehn Minuten damit zu, ihn in das Vorgefallene einzuweihen.
»Verdammt noch mal, und du hast keinen blassen Schimmer, wer die Kerle gewesen sein könnten?«
»Egal wer sie sind, sie kannten sich mit Foltermethoden gut aus«, antwortete Stone, indem er sich die Beule am Kopf rieb. »Ich glaube, ich kann Wasser künftig nicht mal mehr trinken.«
»Jetzt wissen sie also über die Verbindung zu Behan Bescheid?«
Stone nickte. »Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob es für sie eine sonderlich große Überraschung war. Aber was ich über Bradley und DeHaven gesagt habe, war ihnen meines Erachtens neu.«
»Da du gerade DeHaven erwähnst, er wird heute bestattet. Deshalb wollte ich mit dir reden. Caleb geht hin, natürlich auch ein Großteil der übrigen Mitarbeiter der Kongressbibliothek. Milton ebenso, und ich habe eben im Hafen das Hemd gewechselt, folglich könnte ich sie begleiten. Wir dachten uns, es ist vielleicht wichtig.« Unverzüglich stand Stone auf, geriet jedoch ins Wanken.
Reuben fasste ihn am Arm. »Oliver, womöglich ist es besser, du bleibst auf dem Allerwertesten sitzen.«
»Noch so ein Folterstündchen,
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