Camorrista
den Spiegel tritt und sich mit den Fingerspitzen die runzlige Haut unter den Augen glatt zieht. Dann krame ich herum und gebe ihm die Pinzette. Er beugt sich übers Waschbecken und zupft sich ein paar schwarze Härchen zwischen den Augenbrauen aus. Schließlich schaut er sich im Dreiviertelprofil an.
»Wie kommt’s, dass diese tolle Idee nicht funktioniert hat?«, frage ich.
»Weil Willy eines schönen Tages verschwunden ist. Keiner hat je wieder was von ihm gehört. Es hieß, dass unter seinen Freiern ein zu wichtiger Mann war, der sich zur Wahl stellen sollte, und dass die Scurante wollten, dass er hochkam, also dass er gewinnen musste, wegen der Geschäfte, die sie zusammen gemacht haben. Keine Ahnung, ob das wirklich so gelaufen ist. Aber das hat man gehört. Und jedenfalls hatte ich nichts gegen Willy, weil er das gemacht hat, was er gemacht hat. Wir hatten ihm ja sogar vorgeschlagen, das Ganze zusammen zu machen. Er war in Ordnung, wie soll ich sagen …«
»Unabhängig davon.«
»Genau. Auch wenn er gesagt hat, dass er eines Tages zur Frau werden wollte.«
Es ist wie ein plötzliches Schuldgefühl. Er sieht mich komisch an, als ich anfange, in meiner Tasche zu kramen (Achtung, dass er nicht sieht, wo ich das Geld versteckt habe).
Schließlich finde ich in meiner aufs Wesentliche reduzierten Tasche das schwarzsilberne Kettchen.
»Ich hatte es vergessen. Das hat mir Joséphine gegeben.«
Er lässt es durch die Finger gleiten, ohne allzu großes Interesse. Aber irgendwie fühlt er sich unwohl.
»Sie war im Zentrum. Du erinnerst dich doch an sie, oder?«
»Und ob ich mich an sie erinnere.« Er öffnet die Lippen zu einem flüchtigen zufriedenen Lächeln. »Nachdem ich die Satellitenantenne gerichtet hatte, hat sie mir zum Dank sogar einen geblasen.«
Vielleicht sollte ich das als Vertraulichkeit nehmen.
»Es ist nicht so, dass ich sie darum gebeten habe«, meint er klarstellen zu müssen.
»Und ich habe dich auch nicht um Erklärungen gebeten.«
»Ich sage das, weil, wenn du etwa denkst, ich bin schwul, dann irrst du dich. Ich würde nicht wirklich mit einer gehen, die keine Frau ist. Sie wollte unbedingt, und manche von meinen Freunden haben immer gesagt, solche sind echt super, sogar besser als Frauen. Und das wollte ich ausprobieren. Das ist alles.«
Ich bin sicher, dass er in seiner grenzenlosen Unverschämtheit von mir erwartet, dass ich ihm beipflichte. Er lächelt selbstzufrieden, legt die kleine Kette auf die Konsole und gibt mir die Pinzette zurück (du bist nur ein angeberisches Jüngelchen, auch wenn du Falten unter den Augen hast).
Er zieht sich das T-Shirt aus. Streicht sich mit den Fingern über die Mitte der Brust, zwischen den Brustmuskeln, wo neben Pickeln vereinzelte Härchen sprießen, die aussehen, als hätte man ein bisschen Pfeffer gestreut. Von den blauen Flecken, die er ein paar Tage vorher abgekriegt hat, sieht man nur noch Ränder. Ich frage ihn, ob D’Intrò die gleichen Methoden wie Morano angewandt hat.
»Der ist ein Scheißdreckskerl , aber er ist nicht blöd. Der erreicht mit Schlauheit, was er will. Und dann war ja auch noch diese Frau da, die Richterin …«
»Und die blauen Flecken da?«
»Die? Die kriegt man, wenn man kugelsichere Westen ausprobiert. Der Aufprall kommt ja trotzdem, was glaubst du denn?«
»Ihr schießt gegenseitig auf euch?«
»Das ist auch gut, um Mumm zu kriegen. Du gewöhnst dich dran, nicht den Kopf zu verlieren, auch wenn eine Pistole auf dich gerichtet ist. Du hast nicht zufällig was zum Enthaaren dabei? Solche Streifen?«
»Du enthaarst dich?«
»Haare sind was für Affen.«
(Kein Kommentar.) Ich gebe ihm das Päckchen und gehe in die Wohnküche zurück. Während ich versuche, ein teuflisches Gerät aus blauem Plastik, mit dem man angeblich Kaffee machen kann, irgendwie in Gang zu bringen, erwische ich mich dabei, einen Blick durch die halb offene Tür zu werfen (ich sollte mich schämen).
Auch als er fertig ist, bleibt er vor dem Spiegel stehen, befühlt seine angespannten, nervösen Armmuskeln. Schließlich legt er das Päckchen mit den Pflastern auf die Konsole und zieht sich das T-Shirt wieder an.
Beim Abendessen sagt er mir, dass er seit drei oder vier Monaten nirgendwo war, um sich ein bisschen zu amüsieren. Speziell in einer Diskothek, um zu tanzen.
Ich versuche sofort, das Gespräch unauffällig auf ein anderes Thema zu bringen, erzähle ihm von diesem Typen, den wir festgenommen haben, als ich bei der
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