Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
Vom Netzwerk:
einen Scheiß angeht. Ich weiß, ich werde es bereuen, aber im Moment ist es das, was ich will und was mir ein gutes Gefühl gibt.
    Bei der ersten Schießübung fragt mich die Ausbilderin, ob ich nie daran gedacht hätte, Kassiererin im Supermarkt zu werden.
    Die Mädchen gehen fast alle zu zweit rein. Sie frischen ihr Make-up auf, kotzen ins Waschbecken und pudern sich die Nase. Die Schlange kommt nur langsam voran, und ich halte es nicht mehr aus.
    An meinem ersten Tag beim Überfallkommando machte mir der Einsatzleiter sofort klar, ich sollte ihm im Dienst nicht damit auf die Eier gehen, dass ich alle zwei Stunden pinkeln wollte.
     
    »Stalingrad« hörte ich hin und wieder aus dem Mund meines Großvaters. Es war einer seiner häufigen Flüche.
    Man kann kein Stalingrad aus eigenen Kräften bewältigen. Mein Bruder weiß das, er bietet mir noch ein Glas an, will mir helfen, da rauszukommen. Er ist wieder achtzehn, so alt
wie damals, als er von zu Hause abgehauen ist. Die Ewigkeit hat also wieder begonnen.
    Auch er ist aus Plastik, und ich bin froh darüber, denn so wird er sich nie mehr ändern.
    Wie diese Musik, die sich nie ändert. Dinge, die sich ändern, sind dafür gemacht zu enden.
    Ich nehme seine Hand und beiße in die Finger, um zu probieren, ob sie nach Plastik schmecken wie die Finger meiner Puppen. Sie schmecken nach Blut, und auf meiner Zunge prickelt es.
    Ich bin in dem gelben Neonsäulengang. Ich hasse alle, außer meinem Bruder, der blaue Augen hat und Finger, die nach elektrischem Blut schmecken.
    Und der lacht.
    Ich meine zu stolpern.
    Aber ich falle nicht.
    Also lache ich auch, und ich halte die Zunge zwischen den Zähnen fest, damit sie nicht flattert.
     
    Mein Bruder ruft mich, um mich zu wecken. Er streicht mir mit den Fingern über die Wange.
    Das hat er nie gemacht, aber jetzt, wo er wieder achtzehn Jahre alt ist, da ist zwischen uns alles anders. Wir sind groß, also können wir alles machen, was wir wollen, und wir können es machen, weil mein Bruder keine schwarzen Augen mehr hat, sondern blaue.
    Wie eine Gasflamme.
    Ich bin in der Wohnküche von Herrn Fischer. Ich liege auf der Couch, und mein Kopf ist voller Steine, die hin und her rumpeln.
    Ich bin im Dunkeln, der Fernseher ist an, eine Nachrichtensendung ohne Ton, und da sitzt einer auf dem Boden, auf dem Teppich.
    Er sieht mich an und lächelt. Es ist nicht mein Bruder. Es ist Cocíss.
    »Alles in Ordnung, Rosa?«

    Ich versuche mich umzudrehen, und die Decke über mir gerät in Bewegung.
    »Ein Scheiß ist in Ordnung.«
     
    Er bringt mich ins Bad, stützt mich, bis ich am Waschbecken bin.
    Er hält mir auch die Haare nach hinten, als ich kotze.
    Ich sage ihm, dass es jetzt besser geht, dass er mich allein lassen kann, und er fragt mich, ob ich einen Kaffee will.
    »Wenn du mit dieser bekackten Maschine einen hinkriegst«, antworte ich, bevor ich die Tür schließe.
     
    Er klopft und kommt mit einem dampfenden Becher herein. Die schwarze Brühe hat einen Geschmack zwischen Muckefuck und verbranntem Reifen. Mein Mund muss von Magensäften versengt sein.
    Er setzt sich auf den Rand der Badewanne, und ich frage ihn, was passiert ist.
    »Was passiert ist? Nichts.«
    Wir waren ein bisschen überdreht, das ist alles, sagt er. Er hat mich nach Hause gebracht, denn er kann ja fahren, das muss er betonen. Ich habe ein bisschen auf der Couch geschlafen, und er hat ferngesehen. Er hat über meinen Schlaf gewacht.
    Zehn nach fünf. Wenigstens auf meine Uhr kann ich mich verlassen. Auf mich selbst nicht mehr, das ist jetzt klar.
    »Und du, hast du dich amüsiert?«
    Er zuckt mit den Achseln, hebt dann kurz seinen Hintern an und zieht zwei zusammengerollte Hundert-Euro-Scheine aus der Tasche. Lässt sie mir vor die Füße fallen, auf die weiße Matte.
    »Tut mir leid«, sage ich. Was genau, weiß ich nicht, ich habe nur das Gefühl, es sagen zu müssen.
    »Ihr müsst mir ja sowieso bald’ne Menge Geld geben.«
    Ich bestätige ihm das mit einem Kopfnicken. Die Wände im Bad bleiben einigermaßen unbeweglich.

    »Vierzigtausend. Wenn ich die richtig einsetze, bei den Kontakten, die ich hab, verdopple ich die in einem Monat. Vielleicht weniger. Aber ich will nicht immer am gleichen Ort bleiben. Ich bringe das Geld unter und fertig, und dann warte ich, dass es zu mir zurückfließt, bleibe in Deckung, genau. Und ich mach’s allein, ohne irgendwelche Kumpel. Das ist besser, nicht?«
    »Was du mit dem Geld machst, interessiert mich nicht. Und

Weitere Kostenlose Bücher