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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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Aber vielleicht wollte ich auch gar nicht gut werden.
    Die Kindheit ist kein Stück der Ewigkeit. Sie ist ein Geisteszustand der Ewigkeit, der nur ein paar Jahre lang dauert. Das ist nicht von Augustinus. Oder vielleicht doch.
     
    Auf der Tanzfläche hängt sich ein Typ an mich dran, dem ich mit großer Dreistigkeit vorlüge, Amerikanerin zu sein. Das bekommt mir schlecht, denn er kennt sich sehr gut in New Jersey aus, wo seine Firma Joint Ventures hat. Er ist
nett, hat eine Hakennase und eine vorstehende Lippe. Er stellt sich als Jürgen vor, und wir geben uns gerade in dem Moment die Hand, als Cocíss von seinem Ausflug zu den Toiletten zurückkommt. Dahin zu gelangen, habe ich auch versucht, doch bei den Frauen ist die Schlange wie üblich dreimal so lang.
    Er flüstert mir gleich was ins Ohr.
    »Wer verdammt ist das?«
    »Mach dich locker.«
    »Belästigt er dich vielleicht?«
    »Nein.
    »Warum bist du so vertraulich mit dem?«
    »Ich komme allein zurecht, danke.«
    »Schick ihn weg.«
    »Und du hör auf, ihn so komisch anzusehen. Was hast du verdammt noch mal auf dem Klo gemacht?«
    »Nichts. Da ist die Hölle los, siehst du das nicht?«
    Ich sehe es, natürlich, dass er sich ein paar fette Lines reingezogen hat, ich sehe es daran, wie er die Nasenlöcher ruckartig zusammenzieht. Er stinkt nach süßlichem Likör, und im fluoreszierenden Licht leuchtet ein kleiner violetter Fleck auf seinem Kragen auf. Ich mache ihn weg und schüttle den Kopf. Jürgen entfernt sich mit einem genervten Lächeln.
    »Gib mir zweihundert Euro, los«, verlangt Cocíss.
    »Wollen wir mit Champagner anstoßen? Was gibt es zu feiern?«
    »Ich will den Mädchen oben einen ausgeben.«
    »Das scheint mir wirklich nicht nötig.«
    »Was, verdammt, willst du?«
    (Ich ertrage ihn nicht mehr, diesen Typen.)
    »Rede in einem anderen Ton mit mir und hör auf zu trinken.«
    Ich will ihm einen Schubs geben, und er hält mich an den Händen fest.
    »Wer soll mich denn hier kennen? Ich gehe mich ein bisschen
mit den beiden amüsieren. Ich bin da oben, willst du auch kommen? Für mich ist das kein Problem.«
    »Aber mal im Ernst.«
    »Du willst mich auch noch beim Ficken kontrollieren, hä? Komm ruhig mit, ist mir doch egal. Dann macht’s mir noch mehr Spaß.«
    »Hau ab und amüsier dich«, sage ich zu ihm.
    Ich halte ihm das Geld unter dem Tisch hin, ziehe meine Hand ruckartig zurück, sobald ich spüre, dass seine Finger näher kommen.
    »Mach schnell. Ich habe keine Lust, bis morgen früh hier rumzuhängen«, sage ich, während er einen unverständlichen Moment lang zögert.
     
    Der dritte Margarita.
    Oder vielleicht der vierte, ich weiß es nicht. Jedenfalls schmecken sie immer widerlicher. Die Musik in meinen Ohren klingt wie aus weiter Ferne und gleichzeitig heftig, ich sehe alles unscharf, wie in einer dicken Flüssigkeit.
    Ich lächle alle an, die nah an mir vorbeikommen, doch in Wirklichkeit spüre ich, dass ich sie hasse. Ich hasse sie, ich hasse sie.
    Wenn ich doch nur Superkräfte hätte, sage ich zu mir. Aber eines schönen Tages habe ich sie zusammen mit dem Blut verloren. Zu viel elektrisches Blut habe ich verloren. Jetzt könnte ich es gebrauchen.
    Der DJ legt wieder harten Techno auf. Und ich gehe zurück auf die Tanzfläche. Eines Tages verkündete meine Mutter, dass jeder ein eigenes Zimmer ganz für sich bekommen würde. Mein Bruder freute sich sehr. Ich weinte, weil ich nicht wollte, aber vor allem deshalb, weil Diego glücklich war. Meine Mutter erklärte mir, wir seien jetzt groß.
    Was heißt: Die Ewigkeit war vorbei. Für meine Puppen wurde die Schachtel mit den Kornblumen zu einer Art Sarg. Ich nahm sie zwar noch manchmal heraus, spielte aber nicht mehr mit ihnen, ich beschränkte mich darauf, sie anzuknabbern,
langsam ihre Hände und Füße aus Plastik anzunagen.
    Jahre später habe ich in dieser Schachtel das erste Stückchen Haschisch versteckt, dann meine Examensarbeit darin vergraben.
    Seit ich bei der Polizei arbeite, habe ich immer meine Pistole hineingelegt.
     
    Ich muss unbedingt zur Toilette und stelle mich in die Schlange.
    Zwei Stunden nach dem Ende des ersten Tests gab es einen Appell, und sie ließen uns in zwei Reihen antreten. Ohne uns irgendwas weiter zu erklären. Aber ich hoffte, in der Reihe derer zu sein, die nicht zum Polizeidienst taugten.
    Ich sehe mich um, doch ich kann ihn nicht entdecken. Und ehrlich gesagt: Nach wer weiß wie langer Zeit habe ich das herrliche Gefühl, dass mich dieser Typ

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