Camorrista
Catering in einer Arbeitssitzung im dafür reservierten Saal des Clubhouse sind, also off-limits für mich. Er überreicht mir die Broschüre mit dem Programm einer Firmenconvention, die bis zum Abend dauert, und sagt mir, ich solle versuchen, mich im Cottage für die Events am Nachmittag anzumelden. Ich bedanke mich, doch dann gehe ich noch einmal zurück.
Ich trete näher und lege ihm den Zeigefinger auf den obersten Knopf des Jacketts.
»Der erste immer, der zweite manchmal …«
Ich knöpfe ihm den untersten Knopf auf, und er versteinert. Mehr wegen der Vertraulichkeit, die ich gewagt habe, als wegen der ihm bevorstehenden Peinlichkeit.
»Aber den dritten nie«, lächle ich ihn an. »Nur Mut. Wir können alle etwas dazulernen.«
Was sie Cottage nennen, ist eine gefällige dreistöckige Sandsteinvilla. Ein ganzer Flügel ist mit rotem Efeu bedeckt, der wie eine Samtstola wirkt, deren Glanz sich im Wechsel von Sonne und Wind verändert.
Jenseits einer großen Ulme mache ich die blitzenden Hauben von Limousinen und Coupés aus, ein Gartenhäuschen und den Pavillon eines Gewächshauses mit weißen Eisenrahmen. In der Rezeption drängen sich die Leute. Über allem hängt ein Schild der McDougall Catering, doch außerdem gibt es noch lebensgroße Pappfiguren, die eine Kollektion für Freizeitmode bewerben. Die Mädchen sind irrsinnig dünn, mit traurigen Maskara- und Wimperntuscheaugen. Wie es aussieht, hat die top woman des Jahres beschlossen, in die Bekleidungsindustrie zu gehen. Die Kollektion heißt Via Roma , doch in Wirklichkeit geht es um mehr: eine Franchising-Linie für große Modeläden mit Lunch-Café, Relax-Lounge und Beauty-Center .
Irgendetwas Vertrautes gerät in mein Blickfeld, doch ich bin zu angespannt, um es zu benennen. Ich fühle mich hier nicht wohl, sehe mich um, und irgendjemand grüßt mich, keine Ahnung, warum. Aus dem lässigen Schick würde ich schließen, dass ich unter Modejournalisten, Regisseuren, Kreativen und ein paar jungen ehrgeizigen Couturiers bin. Auch die Gorillas mit ihren Ohrhörern und Sonnenbrillen fehlen nicht.
Ich erkläre, dass ich wegen eines dringenden Problems mit Mr. Ferrera von der McDougall Catering sprechen muss, und man ruft einen schwarz gekleideten jungen Mann mit einem automatischen Lächeln herbei. Ich kann wirklich nicht glauben, dass er Ferrera ist, und tatsächlich stellt er sich als Mike vor, verantwortlich für das Pressebüro. Er begleitet mich in einen feuchten kleinen Salon mit salbeifarbener Tapete und lässt mir lauwarmen Tee bringen.
Die geladenen Gäste schwärmen in den großen Saal. Ein bisschen schaue ich mir die Leute an, ein bisschen lasse ich die Hochglanzseiten eines Modekatalogs schnalzen, der so dick wie ein Telefonbuch ist (da gibt es ein Gesicht, das ich schon mal gesehen habe). Via Roma ist der moderne italienische Stil, der sich durchsetzt, heißt der Slogan. Kein Model ist älter als fünfundzwanzig (es ist ein Gesicht ohne Namen). Nach einer halben Stunde kehrt der tüchtige Mike zurück, diesmal in Begleitung einer sehr kleinen Frau mit kupferroter Pagenfrisur, die ein Kostüm in der Farbe Apricot trägt.
Ich merke nicht sofort, dass mir eine »top woman« gegenübersteht. Sie gibt mir nicht die Hand, doch ihr Lächeln ist entschlossen, beinahe überzeugend. Coleen McDougall fragt mich, aus welchem Grund ich so dringend ihren Mann sprechen müsse.
»Ich würde lieber mit ihm persönlich darüber reden«, antworte ich. Und vielleicht zum ersten Mal, seit ich im Dienst bin, zeige ich meinen Ausweis.
Jetzt bin ich von der Polizei, und der Mann mir gegenüber kann das natürlich nicht ignorieren. Miguel Angel Ferrera hatte ich mir jovial, untersetzt und mit Locken vorgestellt. Stattdessen hat er schütteres schwarzes Haar, ohne Gel zurückgekämmt, sein Gesicht ist schwammig, mit einem wachsamen Ausdruck, und ich muss sagen, dass seine Freundlichkeit an Vornehmheit grenzt. Sein behelfsmäßiges Büro hat einen Erker mit Blick aufs Meer. Er entschuldigt sich für die Unordnung und für sein nicht perfektes Italienisch. Er trägt Wildlederschuhe, in denen er lautlos geht, und verschiebt ein Stativ mit einer Tafel voller Notizen, damit durchs Fenster mehr Licht hereinkommt.
Er setzt sich. Die Cordhosen mit den Bundfalten können seine knochigen Knie nicht kaschieren, auch die rosa Kaschmirweste fällt ihm von den Schultern wie von einem Bügel. Nur der Bauch ist rund. Ein Trinkerbauch, würde ich sagen. Methodischer,
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