Camorrista
hartnäckiger Trinker. Flaschen stehen keine
herum. Doch über Mappen mit Lederrücken schauen ein paar Plastikbecher hervor.
Vom ersten Eindruck her habe ich ihn auf über fünfzig geschätzt, doch jetzt, wo ich ihn mir besser anschaue, weiß ich nicht, ob er schon so alt ist.
Er sagt, dass er lieber Englisch sprechen möchte. Italienisch hat er früher mal gut gesprochen, als er noch auf Schiffen arbeitete. Jetzt spricht er immer Englisch, und manchmal erinnert er sich nicht einmal mehr an das Spanische. Er ist jetzt Untertan Ihrer Majestät.
Er lacht und fängt an, die auf dem Schreibtisch verteilten Stifte zu ordnen.
»Untertan, gewiss.«
Das Zimmer ist vollgestopft mit Schachteln, Paketen und zusammengerollten Postern. Auf einem Empiresofa liegen ein paar grüne Livreen in Plastikhüllen übereinander. An einem Kleiderständer aus Eiche hängen zwei Taschen mit Golfschlägern.
»Wieso macht eine italienische Polizistin einen so weiten Weg, um sich mit mir zu unterhalten?«
»Wegen eines Jungen namens Daniele Mastronero.«
»Wie, Entschuldigung?«
»Daniele Mastronero.«
Ich betrachte seine Hände. Unbeweglich.
»Ich weiß nicht, wer das ist.«
»Sie haben nie von ihm gehört?«
»Nein. Warum, sollte ich?«
Er verschiebt den Federhalter, dann den Briefbeschwerer.
»Ich bin sicher, dass er vor einigen Tagen versucht hat, Sie zu erreichen.«
»Dutzende von Leuten versuchen mich jeden Tag zu erreichen.«
Er steht auf und geht zum Fenster. Ich folge ihm mit dem Blick, halte dann inne, um zu lesen, was auf der Tafel hinter ihm steht. Schräge Druckbuchstaben, mit blauem Filzstift geschrieben.
Fettucine Italia, pomodoro e basilico lautet die erste Zeile.
»Versuchen Sie sich zu erinnern«, bitte ich ihn.
»Er hat wahrscheinlich mit meinem Sekretär gesprochen. Wer ist er, ein Koch, ein Kellner? Einer auf Arbeitssuche?«
»Beantworten Sie mir eine Frage, Mr. Ferrera. Wie viele Bewerber um eine Arbeit als Kellner rufen die Nummer des Sitzes der WCA auf Alderney an? Obwohl sie nicht einmal im Telefonbuch steht?«
Er dreht sich um und setzt sich wieder hin. Finnan Habbock lese ich zwei Zeilen weiter unten (das muss die Tageskarte sein).
»Die WCA? Das ist eine Finanzholding. Um die kümmern sich meine Frau und ihre Teilhaber. Ich bin, wie soll ich sagen, mit der praktischen Ausführung beschäftigt. Aber darf ich erfahren, warum die italienische Polizei diese Person sucht?«
»Weil er in Italien einen Mann und zwei Mädchen getötet hat.«
Er runzelt die Stirn. Leise ruft er Jesus Christus an.
»Und wie?«
»Auf offener Straße. Elf Pistolenschüsse.«
»Und warum?«
»Den Mann, weil er nicht zu seinem Clan gehörte. Die beiden Mädchen, weil sie zufällig dort vorbeigekommen sind.«
»Das ist schrecklich. Wie alt ist dieser Junge?«
»Achtzehn. Gerade geworden.«
Er bemerkt, dass mein Blick von ihm zu der Tafel wandert. Das Tagesmenü sieht Lachs mit Dill und Rettichcreme vor. Und dann Smoked Turkey .
»Ich kann nur bei meinen Mitarbeitern nachfragen. Wenn diese Person irgendjemanden kontaktiert hat, der für mich arbeitet, werde ich es Sie so schnell wie möglich wissen lassen.«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, er hat die WCA auf Alderney angerufen, nicht irgendjemanden, der für Sie arbeitet . Wir wollen uns doch bitte gegenseitig ernst nehmen.«
»Ich habe voll-kom-men verstanden. Würden Sie den Namen bitte noch einmal wiederholen?«
Als Dessert Dundee Cake und Scottish Sundea (was soll Sundea sein?).
Ich sehe wieder ihn an (verdammt, aber natürlich ist das möglich).
»Lassen Sie es, Mr. Ferrera.«
(Sicher, sehr ähnlich sehen sie sich nicht.) Cocíss hat uns verarscht. Uns alle, und mich zuallererst.
»Was?«
Sie sind sich nicht ähnlich. Aber ihre Störung, die ist sich schon ähnlich. Dieser Mann schreibt Habbock statt Haddock . Dieser Mann ist Legastheniker, wie Cocíss. Ich beschließe, ins kalte Wasser zu springen, koste es, was es wolle.
»Sagen Sie mir, wo Ihr Sohn ist, los.«
»Wovon reden Sie?«
»Es ist besser für alle. Vor allem für Sie, glauben Sie mir.«
Eine banale Geschichte, denke ich schließlich. Aus dem Erdgeschoss ist das dumpfe Dröhnen einer unerbittlichen Dancemusic zu hören. Hin und wieder branden Applaus und Gelächter auf.
Er ein junger Schiffskoch, sie nicht einmal volljährig. Er fährt im Mittelmeerraum zur See, sie sollte das Schneiderhandwerk erlernen, wie der Vater. Doch man vertreibt sie aus der Ladenwohnung im Rione Forte Santo,
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