Camorrista
runden Augen zu Wort, die ein scheußliches flaschengrünes Kostüm trägt. Sie erklärt, dass man nicht von einem veritablen Clan Incantalupo sprechen könne, sondern es sich eher um
ein Konglomerat von Micro-Clans handle, die manchmal sogar in Konkurrenz untereinander ständen. Eine zum Teil gewollte, zum Teil durch die Abwesenheit des seit mehr als zehn Jahren flüchtigen Bosses Saro Incantalupo verursachte Zersplitterung. Auch wenn ihr Name und Titel nicht eingeblendet werden, nehme ich an, dass es sich um die zuständige Ermittlungsrichterin handelt.
Ende des Berichts. Ich drehe mich um und sehe Cocíss hinten im Korridor, er kommt auf uns zu. Lässiger Gang, gerade Schultern, kaugummikauend. Jana schaut ihn mit einem alles andere als unschuldigen Blick an. Gabriela hingegen sieht mich an, mir ist nicht klar, ob ein ganz klein wenig komplizenhaft oder sogar bewundernd. Für sie ist die Bestie von 167 ein geiler Typ, und vor allem ist er mein Bruder.
Ich muss an die Stille des Waldes nach dem Abflug des Hubschraubers denken. Sehe wieder die gelben und grünlichen Blutergüsse auf dem enthaarten Oberkörper des Capozona Daniele Mastronero, genannt Cocíss, vor mir. Ich stelle mir Fragen, von denen ich weiß, dass ich sie für mich behalten muss. Mehr noch, ich weiß, dass ich sie mir nicht einmal stellen dürfte.
Wir gehen ins untere Stockwerk, ich eine Stufe hinter ihm, ohne ein Wort zu sagen.
Vor der geschlossenen Tür von Oscars Zimmer bleibt Cocíss plötzlich stehen. Der Hund hat aufgehört zu bellen, aber er ist noch da, fixiert die Türklinke, sein Schwanz unbeweglich. Cocíss kniet sich hin, nimmt seine Schnauze in die Hände, hebt ihn dann hoch. Ohne anzuklopfen, geht er ins Zimmer und kommt zwei Sekunden später wieder heraus, macht die Leine am Halsband fest und lässt den Hund auf den Boden fallen. Jaulend findet er sein Gleichgewicht auf den plumpen Pfoten wieder.
Wenn man hinter der Abtei die Anhöhe hochsteigt, kommt man durch einen Wald mit großen Robinien, ohne Unterholz. Robinien haben starke, tiefe Wurzeln, halten die Erde
fest und verhindern einen Erdrutsch. Sie bildeten den natürlichen Schutz gegen die Klauenschläge des Dämons, die alles um die Abtei herum vernichten wollten. Und von hier oben scheint Spaccavento tatsächlich ein sinnloser Vorposten.
Der Weg taucht wieder auf, als wir in einen Kastanienwald kommen. Cocíss und der Hund sind ein paar Meter vor mir. Das Efeu zwischen den Bäumen sieht aus wie zerrissene Schleier. Bis vor Kurzem war noch ferner Traktorenlärm zu hören, jetzt herrscht Stille. Die Sonne liegt flach im Dunst der Ebene, und über uns sind vom Himmel nur kleine Löcher geblieben.
Wir gehen seit einer halben Stunde bergauf, und Cocíss scheint kein bisschen müde. Doch irgendwann macht er halt, setzt sich auf einen Stein und steckt sich eine Zigarette an. Er wirkt genervt.
»Bist du müde? Ich will aber hoch zum Gipfel, weißt du«, brummt er. Der Hund streicht um uns herum, wittert die Spur irgendeines Tiers.
Cocíss mustert mich kurz, als wollte er herausfinden, wie schlimm meine Atemnot ist, und steht wieder auf. Er weiß ja sowieso, dass ich nur hinter ihm hergehen kann. Zum Glück verläuft der Weg wieder eben. Wir springen zwischen Reihen von Pferdemist herum und kommen zu einem Tor, das aus geschälten Baumstämmen besteht. Hier endet der Besitz der Abtei.
»Was bedeutet das da?«
»Es bedeutet, dass wir umkehren.«
Wie er sich dem Tor nähert, kapiere ich, dass er sich anschickt, drüberzuklettern.
»Und warum?«, fragt er, Schultern und Ellbogen gegen das Tor gestützt.
»Weil hier der Besitz aufhört. Und du darfst nicht raus.«
Es steht ihm ins Gesicht geschrieben, dass er mir Arger machen wird. Tatsächlich nimmt er Anlauf und schwingt sich rittlings auf das Tor (das war zu erwarten).
»Komm runter.«
»Und wenn nicht?«
»Spiel nicht den Clown.«
»Ich bin ja nicht draußen.«
»Okay. Dann bleib da.«
Ich nehme den Rucksack von der Schulter, mache den Reißverschluss auf und stecke eine Hand hinein. Der Hund fängt an zu bellen, er möchte hoch zu Cocíss.
»Mamma mia, willst du mich etwa erschießen?«
»Es heißt, du bist intelligent. Das könntest du aber mal zeigen.«
Ich weiß schon, dass er nicht runterkommen wird. Und er weiß, dass ich nie und nimmer die Pistole benutzen werde. Ich versuche, ruhig zu bleiben, nicht mal die Zehen in den Schuhen zu bewegen.
»Ich habe gesagt, ich gehe bis zum Gipfel. Ich muss mir da
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