Camorrista
höre Geschrei aus den nahen Fenstern, vielleicht auch Gelächter, und ich weiß nicht, was tun, sage mir nur immer wieder, dass ich nicht reagieren darf, dass ich nichts tun kann, dass ich es nicht mehr aushalte, dass ich nicht auch das hier noch ertragen kann.
Ich lehne mich an die Wagentür und sehe, wie er sich zurückzieht und mir dabei weiter droht, auch wenn ich nicht verstehe, was er sagt, weil meine Ohren irgendwie verstopft sind. Ich huste vor Ekel, greife nach einem Scheibenwischer und reiße ihn ab. Ich möchte mich aus diesen nassen Kleidern schälen, aus der Uniform, die ich nicht trage, und aus meiner Haut, wie eine Schlange.
Ich spüle und spüle noch einmal, voller Wasserstrahl, fast kochend heiß. Aber es hilft nichts, ich fühle mich immer noch
schmutzig. Die Kleider von heute werde ich bestimmt nicht waschen. Weg damit.
Der Geruch nach Fett und faulem Ei geht mir nicht aus der Nase, ich sehe mich im Spiegel an: Ich sehe schrecklich aus, blutunterlaufene Augen und blasse Haut.
Ich möchte nicht sein, wer ich bin. Und ich bin selbst schuld, so geworden zu sein. Ich habe keine Entschuldigung.
Ich mache mir eine Gesichtsmaske zur Entspannung. Dann kann ich zumindest mein Gesicht verstecken und erkenne mich nicht wieder, wenigstens für eine halbe Stunde.
Meine Mutter ruft an, während ich gerade mit der Enthaarung beschäftigt bin. Mein Vater ist gefallen, als er versuchte, die Bettcouch in den Keller zu transportieren, weil er beschlossen hat, in Zukunft dort zu schlafen. Ein paar blaue Flecken, eine Abschürfung, doch zum Glück nichts gebrochen. Ich höre ihn schreien, dass ihn niemand in der Familie verteidigt, dass niemand ihm glaubt und dass die Frauen alle dumme Kühe sind und natürlich lügen. Meine Mutter fragt mich, wann ich sie besuche, und ich verspreche, dass ich in den nächsten Tagen komme. Sie sagt, es ist in Ordnung, ich soll mir keine Sorgen machen und an meine Arbeit denken.
Das Ergebnis der Enthaarung sind zwei juckende Beine, die aussehen, als hätte ich mir überall Stecknadeln mit kleinen roten Köpfchen reingesteckt.
Ich habe nichts mehr, in dem ich einigermaßen passabel aussehe. Die Röcke hängen an mir runter wie Säcke, und mit Raffen in der Taille ist es auch nicht immer getan. Die engen Blusen haben überall schreckliche Falten, abgesehen von einer in Feuerrot. Aber wenn ich die anziehe, hat meine Haut im Ausschnitt eine Farbe, die nur die Aufmerksamkeit eines Nekrophilen auf sich ziehen könnte.
Reja ruft mich an, als ich meinen Kleiderschrank praktisch ausräume und alles aufs Bett werfe. Mein erster Gedanke ist,
ihm zu erzählen, was ich mit Cocíss entdeckt habe, doch er lässt mir keine Zeit dazu.
»Wir haben beschlossen, unseren Mann in die Klinik zu verlegen«, setzt er an. »Und zwar übermorgen, am späten Nachmittag.«
»Aber er will sich nicht operieren lassen.«
»Man wird ihn trotzdem operieren. Wir müssen ihn nur an einen bestimmten Ort bringen, dort wird er dann abgeholt, und das Ganze ist nicht mehr unsere Sache.«
»Und wohin?«
»Das wird noch entschieden. Aber ganz in die Nähe. Vielleicht in eine Kaserne der Fallschirmjäger.«
»Und wer kommt ihn abholen?«
»Deine Sache ist nur, bis übermorgen durchzuhalten.« Ich unterdrücke ein Seufzen (er soll nicht merken, dass ich es kaum erwarten kann).
»Ich muss mir für ihn irgendwas ausdenken. Sonst macht er mir Probleme.«
»Sag ihm, dass wir ihn …«
»… zu D’Intrò bringen«, denke ich laut. »Er sagt dauernd, dass er mit ihm sprechen will. Er nennt ihn den ›Dottore‹ und ist ganz hin und weg von ihm.«
»Meinst du, er kauft dir das ab?«
»Ja, aber sein Gepäck müssen wir gesondert losschicken, sonst merkt er, dass wir sein Zimmer leer räumen.«
Reja verspricht mir für morgen die Handynummer und den Namen von jemandem, mit dem ich mich abstimmen kann. Was heißt: Ich soll das allein erledigen, ohne dass er weitere Zeit vergeudet. Doch ich halte ihn noch zwanzig Sekunden lang mit dieser Geschichte von dem Beobachtungsposten auf dem Hügel auf.
»Kannst du mir versichern, dass er nicht mit irgendjemandem da unten Kontakt aufgenommen hat?«
»Ich bin ganz sicher. Er ist nicht blöd und weiß besser als wir, was er riskiert.«
»Schlimme Paranoia, typisch. Er fühlt sich schuldig, weil
er kooperiert hat, er denkt, er hätte seine Welt verraten, seine Leute«, spielt Reja es herunter, und ich habe große Lust, ihm zu glauben.
Vom Inhalt des ganzen
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