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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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Stirn und dreht sich ruckartig um, als hätte ich ein Zauberwort gesagt, das die Luft wie ein Windstoß aufwirbelt.
    »Nennt man dich nicht so?«
    Er scheint überrascht. Vielleicht fühlt er sich sogar unbehaglich. Egal, ich habe soeben für fünf Sekunden seine Aufmerksamkeit gewonnen, und die muss ich ausnutzen.
    »Wie man mich nennt, hat dich nicht zu interessieren.«
    »Okay. Aber jetzt stelle ich dir eine Frage. Eine ganz einfache Frage.«
    »Ja, aber schnell. Je weniger ich mit euch rede, desto besser geht es mir.«
    »Schnell. Sagst du mir die Wahrheit?«
    Er fixiert mich und schlägt sich mit der Faust an die Brust. Langsam und heiser skandiert er: »Ich sage immer die Wahrheit.«
    »Dann sag sie auch mir.«
    Ich lehne mich mit dem Rücken gegen die Tür und höre das Schloss aufschnappen. »Willst du sterben, Cocíss?«
     
    »Oscar wollte nicht sterben. Das hat er mir jeden Tag gesagt. ›Ich weiß, dass ich Aids habe, aber ich will trotzdem nicht sterben‹, hat er gesagt.«
    Joséphine weint leise, mit geschlossenen Augen. Ihre langen Finger zerknüllen ein weißes Taschentuch. Heute trägt sie nicht einmal Ohrringe, nur ein Armband aus bunten Perlen.
     
    Vor uns eine Tür, die halb offen steht, und jenseits der Tür zwei gelbliche Füße, glatt und klein, die gar nicht aussehen wie die eines erwachsenen Mannes. Sie schauen unter einem fleckigen dunkelgelben Betttuch heraus. Das rote Sweatshirt liegt am Fußende des Betts. Es erinnert mich an die Haut eines gehäuteten Tiers.
    Dann schließt jemand die Tür und jagt den kleinen gefleckten
Hund raus, der sich jedoch gleich neben den Türpfosten setzt. Er fängt an zu bellen. Joséphine wirft mit dem Taschentuch nach ihm.
    »Du sei brav.«
    Um sie abzulenken, frage ich Joséphine, ob sie schon über ihren Eintritt in die Fußballmannschaft entschieden hat.
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Meine Papiere sind noch ein Chaos«, meint sie. »Es muss nur irgendeiner Beschwerde einlegen, weißt du … Und dann haben wir das Spiel verloren. Und das bringt doch sowieso nichts, mit denen zu spielen. In einem halben Jahr lasse ich mich operieren und gehe weg von hier. Weit weg.«
    Die laszive Pose ihrer Hand wirkt wie aus einer anderen Zeit; und wo dieser Ort »weit weg« ist, das weiß nicht einmal Joséphine. Hauptsache, dass sie diesen Prozess der »Anpassung«, wie Padre Jacopo ihn neulich genannt hat, bis zum Ende durchführt. Offenbar findet die Kundschaft operierte Transen nicht attraktiv, und das dürfte sie daran hindern, wieder in alte Gewohnheiten zurückzufallen.
    »Wie geht es deinem Bruder?«, fragt sie.
    Wie immer fühle ich mich für einen Augenblick überrumpelt.
    »Besser, danke.«
    Joséphine mustert mich eingehend. Gleich wird sie mir sagen, dass wir uns nicht ähnlich sind, ich weiß.
    »Er hat viel von dir gesprochen. Er hat mir gesagt, dass er am Arsch wäre, wenn er dich jetzt nicht hätte.«
    (Das glaube ich gern.)
    »Er übertreibt immer«, antworte ich.
    »Er sagt, dass du eine fitte Frau bist. Dass es ihm leid tut, das nicht kapiert zu haben, es tut ihm leid, dass ihr euch so lange Zeit gestritten habt.«
    (Was für ein Schauspieler!) Ich sehe Padre Jacopo am Ende des Gangs, er kommt auf uns zu. Er geht wie ein Bär, setzt die Füße weit auseinander, trägt schwere Schuhe ohne Schnürsenkel. Joséphine macht Anstalten aufzustehen. Mir wird
klar, dass sie ihm aus irgendeinem Grund nicht über den Weg laufen will.
    »Auf jeden Fall ist er süß, dein Bruder, weißt du?«, sagt sie mit einem einverständlichen Blick, der mir nicht gefällt. Ich möchte ihr sagen, dass sie sich von ihm fernhalten soll, und vor allen Dingen, warum. Dann lächelt sie mich ein wenig schief an. »Und du bist auch süß. Warum machst du dir nicht mal eine andere Frisur? Probier’s mal mit einem Stufenschnitt und einer knalligeren Farbe.«
    Ich muss wirklich verdammt fertig aussehen, wenn eine Transe sich erlaubt, mir Lektionen in Weiblichkeit zu erteilen.
     
    Padre Jacopo steht vor einer Art Anschlagtafel.
    »Noch bis vor dreißig Jahren haben die Mönche sie benutzt, um die Aufgaben zu verteilen. Schauen Sie, man schiebt einfach den Namen in das Fach des jeweiligen Dienstes: Küche, Wäscherei, Garten, Werkstatt … praktisch, nicht?«
    Der Padre zieht ein paar Holztäfelchen heraus und schiebt andere hinein. Mit bunten Buchstaben stehen die Namen darauf: Monica, Dolores, Lucy, Vassilj, Ibrahim, Giovanni .
    »Sehen Sie, heute Morgen sollte Giovanni das

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