Camorrista
Frühstück servieren, wir hatten darüber gesprochen, und er hatte mir gesagt, er sei einverstanden. Stattdessen ist er die ganze Nacht im Fernsehzimmer geblieben, um fünf in die Vorratskammer gegangen, hat sich zwei Schachteln Kekse genommen, hat auch noch eine Tür kaputtgemacht und ist dann in sein Zimmer gegangen, um zu schlafen. Vassilj hat alles allein machen müssen und ist ziemlich wütend.«
»Dann passen wir besser auf, dass sie sich nicht begegnen«, sage ich.
»Ja. Aber bei mir ist ein Mitarbeiter in Urlaub und einer krank. Können Sie vielleicht dableiben?«
»Kein Problem.«
(Ist es eigentlich doch. Ich hatte mich gerade zu einem Termin beim Friseur entschlossen.)
Wir gehen gemeinsam nach oben. Auf einer Art Treppenabsatz mit einer Unmenge alter Fotos und Zeichnungen aus einem Botanikbuch an den Wänden stehen zwei mächtige Sofas aus durchlöchertem Leder und ein großer Fernseher, nicht gerade das letzte Modell. Die beiden Mädchen, die ich in der Küche und im Garten immer zusammen gesehen habe, kauern dort nebeneinander.
Eine von ihnen ist Gabriela, die mir den Hinweis auf die Klinik in Slowenien gegeben hat. Sie hat feuchte Augen, und die Haut zwischen Nase und Mund ist gerötet. Die andere, kräftiger und mit vorstehenden Zähnen, lacht heute mal nicht, wie sie es sonst immer tut, sondern tröstet ihre Freundin. Ich glaube, sie heißt Jana. Nur sie würdigt uns eines Blickes, wirkt quasi belästigt, als wären wir dabei, etwas zu beobachten, das uns nicht interessieren sollte. Padre Jacopo beschleunigt den Schritt, und ich frage ihn, ob sie wegen des Jungen im roten Sweatshirt weint.
»In gewisser Weise«, antwortet er lakonisch.
(Was heißt: Ich soll mich um meinen eigenen Scheiß kümmern.)
Cocíss ist gerade erst wach geworden. Er kontrolliert sofort die Socken, Unterhosen und T-Shirts, die ich für ihn gekauft habe (jeder echte Boss ist paranoid). Ich verzichte darauf, ihm eine Strafpredigt zum Thema »Regeln respektieren« zu halten, und nehme mir vor, direkt auf mein Ziel zuzusteuern, nämlich ihn für ein paar Stunden hier rauszubringen. Ich kann es nicht glauben, doch er kommt mir zuvor.
»Ich habe es satt, immer hier zu sein. Ich will raus.«
»Wir können ein bisschen auf dem Gelände der Abtei spazieren gehen, wenn du willst.«
Er will, aber vorher möchte er duschen und sich rasieren. Übliche Kontrolle seiner Sachen und des Bads, dann gehe ich langsam ins Treppenhaus zurück. Jana ist dabei, Gabrielas Zehennägel zu lackieren. Leuchtend violett, wie ein Vamp. Sie scheinen jetzt entspannter.
Ich sehe auf die Uhr: Es ist vier. Ich hoffe, dass zwei Stunden reichen, und rufe beim Friseur an, um den Termin zu verschieben. In diesem Zustand kann ich nicht zu dem Essen heute Abend gehen.
Im Fernsehen läuft eine Nachrichtensendung. Der Geruch nach Nagellackentferner und der leise gestellte Ton des Fernsehers lenken mich von den Bildern ab, die ich sehe. Zuerst suche ich die Fernbedienung, doch dann gehe ich einfach näher ran und stelle den Ton mit der Taste unter dem Bildschirm lauter. Die beiden Mädchen schauen mich böse an, und ich dämpfe ihn wieder ein wenig. Ich setze mich auf eine Lehne und erkenne das weiße Haar und die ausgeprägten Augenbrauen des Mannes wieder, der am Schreibtisch sitzt, während drei Kollegen hinter ihm stehen, alle in den blauen Hemden der Mafiafahnder von der DIA. Wie üblich ist eine Frau dabei, und sie ist hübsch. Nach Hauptkommissar D’Intrò bekommt sie alle Großaufnahmen.
Die Operation Antigone 2 hat zwischen drei und vier Uhr in der Nacht begonnen. Mehr als zweihundert Polizeikräfte waren beteiligt, zwanzig Einsatzfahrzeuge und zwei Hubschrauber. Auf einer verlassenen Baustelle im ehemaligen Industriegebiet der Irca in Navastro im Norden der Stadt hielt der Incantalupo-Clan ein Gipfeltreffen ab. Insgesamt neunundzwanzig Festnahmen, die man zu den zweiundsechzig Verhaftungen hinzurechnen muss, die in der letzten Woche im Viertel 167 erfolgt sind …
Der stellvertretende Polizeipräsident Lozzola kommt ins Bild. Er spricht von einer chirurgischen Operation, teilt mit, dass keiner der Festgenommenen Widerstand geleistet habe, und erklärt, die Blitzaktion sei möglich gewesen, weil sich »die fraglichen Personen« für kurze Zeit aus ihren Festungen in den von ihnen kontrollierten Vierteln, wo sie quasi alle Häuserblocks untereinander aufgeteilt haben, entfernt hätten.
Als Nächstes kommt eine Frau mit lockigem Haar und
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