Camorrista
Kleiderschranks bleibt nur ein weißer Pulli mit einem ovalen Ausschnitt übrig. Ich finde ein Paar dunkle Jeans wieder, die nach ein paarmal Waschen ein bisschen sehr eng geworden waren. Aber jetzt, wo ich auch in den Hüften schmaler geworden bin, sind sie perfekt. Das Problem ist, die richtige Höhe zu finden, in der man sie umschlägt. Ein halber Zentimeter mehr oder weniger, und meine Fesseln sehen aus wie dicke Stampfer. Ich brauche eine halbe Stunde und zweitausend Versuche, bis ich mich entschieden habe.
Den Folkloregürtel habe ich nie getragen. Meine Freundin Stella hat ihn mir geschenkt. Wir haben bei dem sechsmonatigen Lehrgang ein Zimmer geteilt, auch sie ist zur Verkehrspolizei gegangen, aber man hat sie in die Gegend von Savona geschickt (wie lange habe ich nichts von ihr gehört). Wer weiß, ob sie noch die gleiche Handynummer hat, ob sie abgenommen hat, wie sie wollte (vielleicht ist sie verheiratet und hat Kinder).
Es ist ein auffälliger Gürtel, ich hätte ihn nie gekauft, und schon als ich mich bedankt habe, wusste ich, dass ich so etwas nie tragen würde. Aber wenigstens belebt er meine Garderobe einer in die Jahre gekommenen Studentin (Joséphine würde ihn bestimmt gut finden).
Der Gürtel kommt auch aufs Bett, okay. Ich habe keine Lust, alles wieder aufzuräumen, ich habe schon eine halbe Stunde Verspätung, und so werfe ich die Röcke und Blusen auf einen orangefarbenen Hocker, den ich seit meinem fünfzehnten Lebensjahr bei jedem Umzug mitschleppe.
Ich hole die Pistole vom Nachttisch, nehme das Magazin ab und mache den Safe auf, um ein Paar Ohrringe auszusuchen. Da ist er, neben dem Lederetui mit dem Schmuck: der Pappkarton mit den Kornblumen und den beiden gelben Gummibändern.
Um mich abzulenken, zähle ich die Patronen und lege die Pistole zurück. Doch dann sehe ich es wieder an, mein großes unvollendetes Werk. Vergraben in seinem fröhlichen Sarg.
Meine Examensarbeit verwahre ich im Safe mit der Pistole und dem Schmuck, eben damit ich sie jeden Tag sehe und sie nicht vergesse (ich werde sie früher oder später zu Ende schreiben und mein Studium abschließen).
Eine Langzeitstudentin. Ach, was soll’s. Im Grunde bin ich das doch die ganze Zeit über gewesen.
Bei Tisch löst mein Beinahe-Abschluss in Philosophie die übliche Diskussion aus: Warum gibt es keine weiblichen Philosophen? Irgendein Mann will einen guten Eindruck machen und redet von der kulturellen Unterdrückung der Frau. Aber es gibt immer eine Frau, wenigstens eine, die stolz die Meinung vertritt, dass Frauen praktischer veranlagt sind als Männer, weniger abstrakt. Es endet damit, dass sie mich fragen, was ich denn beruflich mache, mit einem Philosophiestudium.
»Ich habe eine Stelle beim Staat«, sage ich, wenn ich ausweichen will. »Ich arbeite für das Innenministerium.«
Die Antwort ist im Allgemeinen undurchsichtig genug, um dem Gespräch gleich eine andere Richtung zu geben (und ist nicht mal eine Lüge).
Maurizio und seine Freunde haben den ganzen Winter daran gearbeitet, ein kleines Boot wieder flottzumachen. Mir wird klar, dass ich durch meine Anwesenheit bei Tisch automatisch zum Stapellauf eingeladen bin, und die Vorstellung gefällt mir. Der Sommer steht vor der Tür, zum Glück. Ich würde sagen, Maurizio ist der realistischste meiner aktuellen Verehrer und vielleicht auch der mit den meisten Chancen. Er ist kein schöner Mann, da braucht man nicht lange drum herumzureden, er hat nichts von der verdammten Klasse eines Antonello. Doch er hat eine schöne, sanfte Stimme. Obwohl wir sehr oft voneinander hören, schenkt er
mir jetzt, wo wir mit anderen zusammen sind, keine besondere Aufmerksamkeit. Vielleicht ist das Schüchternheit, vielleicht hat es damit zu tun, dass er erst vor Kurzem geschieden wurde (oder vielleicht sollte ich wirklich zum Friseur gehen, das ist es).
Eine Viertelstunde lang versuche ich hartnäckig, den Mythos vom »Landwein« zu zerstören. Ich behaupte, dass in solchen Wein vielleicht Mäuse pissen, und ende quasi als Verfechterin der Globalisierung (ich, wo doch mein Vater in den Ruin getrieben wurde, weil er zu früh ins Biobusiness eingestiegen ist).
Ich möchte nicht persönlich werden, die meisten am Tisch habe ich höchstens einmal gesehen, deshalb lasse ich es gut sein und halte mich ein bisschen zurück. Ich wende mich dem Essen zu, und Maurizio fragt mich nach meiner Meinung darüber, wie drei Sorten Honig und Pecorino harmonieren. Ich durchschaue seine Art, so
Weitere Kostenlose Bücher