Camorrista
verschwinden.
»Elf Schüsse, Kaliber 38. Hochgeschwindigkeitsprojektile. Das Motorrad war ungefähr hier, wo wir jetzt stehen. Cocíss ist nicht abgestiegen, das wäre zu riskant für ihn gewesen. Er hat nicht einmal richtig angehalten, soweit wir aus dem Bericht der Ballistik wissen. Er hat wie rasend aus der Bewegung heraus geschossen. Im Restaurant befanden sich ein paar einsatzbereite Männer Capuanos. Doch sie waren nicht auf den Angriff gefasst. Erst recht nicht auf ihrem Territorium.«
»Und wer ist gefahren?«
»Cocíss war allein, auf einer gelben Suzuki SV 650. Er ist auf der Piazza della Guarnigione in Stellung gegangen, da, wo diese Parkanlagen sind, um den Eingang des Restaurants im Auge zu behalten. Offensichtlich war er sich sicher, dass Capuano herauskommen würde. Bis dahin war er ohne Helm gefahren, wie alle, um keinen Verdacht zu erregen. Er hat mindestens eine Viertelstunde gewartet, ein paar Straßenhändler und ein Geschäftsmann haben ihn wiedererkannt.«
»Seltsam.«
»Überhaupt nicht. Hier zahlt niemand mehr Schutzgeld, weil alles den Scurante gehört. Jedes Feuerzeug, das verkauft wird, kommt von den Scurante. Jeder albanische oder marokkanische Maurer arbeitet, wenn die Scurante es entscheiden. Und die beiden Callshops weiter vorn, von denen aus man auch Geld ins Ausland überweisen kann, wissen Sie, wem die gehören?«
»Den Scurante.«
Ich schaue hoch und sehe, dass aus einigen Fenstern Bettlaken hängen, die der Smog geschwärzt hat.
»Sie sagen, dass sie die Laken nicht wegnehmen, solange wir Mastronero nicht verhaftet haben«, erklärt mir D’Intrò, der sofort weiß, was mir durch den Kopf geht. »Doch vielleicht will man damit auch nur Druck ausüben, und es gehört zum Spiel«, fügt er hinzu.
»Zu was für einem Spiel?«
»Dem Spiel der Allianzen. Ich habe Ihnen ja schon gesagt: Es ist mehr als nur ein einziger Krieg im Gange.«
»Der zwischen den Scurante und den Incantalupo hätte enden können, noch vor dem Massaker. Erstens, weil der alte Sergio Scurante im Sterben liegt und seine Söhne neue Ideen haben. Zweitens, weil Capuano die Schwester von Renzo Antoniolo heiraten wird und die Scurante so einen neuen Clan als Verbündeten bekommen. Um sich ökonomisch zu erneuern und ihre Schlagkraft zu erhöhen.«
Er blickt mich erstaunt an, trommelt dabei aufs Lenkrad.
Dann beobachtet er einen dicken Geländewagen, der uns mit verdächtiger Langsamkeit überholt.
»Exakt. Eine gute Zusammenfassung, Kompliment. Haben Sie vielleicht auch einen Bruder in einem der beiden Clans?«
»Nein, ich habe nur Ihre Abschlussberichte gelesen. Etwa den, in dem Sie den Vergleich mit dem Reich des Eises machen.«
»Wirklich?«
Jetzt scheint er fast geschmeichelt, doch nicht deshalb werden seine unruhigen und argwöhnischen Augen größer.
»Wissen Sie auch, wo der Grund für diese Fehde liegt?«
»Nein.«
»Der Grund liegt darin, dass Saro Incantalupo und die Seinen es nicht mehr für nötig halten, den Drogenhandel persönlich zu leiten. Auch sein rechter Arm, Ezio Curto, hat sich aus dem Viertel entfernt, in jeder Hinsicht. Die interessieren nur noch die regelmäßigen Erträge in liquiden Mitteln, und in den letzten Jahren haben sie sich damit begnügt, einen Teil des Umsatzes von jeder Piazza einzubehalten. Jeder Capozona hatte also Manövrierfreiheit. Deshalb hat auch ein aufgeweckter Typ wie Cocíss in zwei oder drei Jahren so weit hochkommen können. Doch nach einiger Zeit herrschte in ihrem Teil von 167 das Chaos. Unabhängige Capozona, die sich gegenseitig jeden Meter Bürgersteig streitig machten, Qualität außer Kontrolle, Preisverfall. Die Scurante dagegen sind vom alten Schlag. Sie verhandeln, importieren, bezahlen Gehälter, kontrollieren bis auf den Cent genau, und diese Liberalisierung hat sie auf die Dauer, sagen wir mal, geärgert. Doch Saro Incantalupo hat sich sogar geweigert, das Problem auch nur zu diskutieren. Und so hat das Abschlachten begonnen. Aber wir sind allmählich spät dran. Das Blaulicht liegt vorn auf dem Armaturenbrett«, sagt er zu mir und legt den ersten Gang ein.
Der Zubringer teilt das Viertel 167 in zwei Teile, und man hat das Gefühl, wenn er könnte, würde er es überfliegen.
Die nächste Ausfahrt ist zwei Kilometer weiter Richtung Norden. Danach muss man auf einer verlassenen Landstraße zurückfahren, durch flaches Land voller Gestrüpp, Bidets und Heizkessel, Pyramiden rauchenden Mülls. Auf einem Feld mit dürrem Gras ist ein
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