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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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Verwesung.
    »Wenn niemand stirbt, singt niemand.«
    Der Mann bekreuzigt sich und kommt auf mich zu. Der Nachhall in der Apsis hat seine Stimme verfälscht. Im Grunde habe ich ihn bisher auch nur zweimal reden hören.
    Er setzt sich neben mich und fängt wieder an zu sprechen, doch ohne mich anzusehen.
    »Die seltenen Male, die Saro Incantalupo in den letzten fünfzehn Jahren persönlich herkommen musste, hat er hier seine Versammlungen abgehalten. In dieser Bank die Mitglieder seines Clans und ihre Frauen, kniend im Gebet. Und er dort, hinter dem Altar, unter der Apsis. Er musste nur flüstern. Seit dem Umbau ist die Akustik dieser Kirche unglaublich. Er wollte sich nicht zeigen, auch nicht vor Edoardo Campanara oder Corrado Vitale, die doch seine treuesten Statthalter waren. Ich erinnere mich, dass Carmine Contrera mir das erzählt hat, bevor er die tolle Idee hatte, sich unserem Schutz zu entziehen. Es hieß, er sei nach Südamerika entkommen, doch eines schönes Tages erhielt seine Familie ein Eilpäckchen mit der Post.«
    Er zupft sich flüchtig die Hose über den Knien zurecht, lehnt sich zurück und massiert sich das Gesicht. »Im Päckchen war eine menschliche Zunge, eingewickelt in einen Abschiedsbrief von Contrera an seine Frau und seine Kinder.«
Als ich ihn frage, was das alles zu bedeuten hat, wendet sich mir Hauptkommissar Paolo D’Intrò endlich zu.
    »Es bedeutet, dass es keine Grenze und keinen Waffenstillstand gibt. Dass ich niemals aufhöre zu kämpfen und dass ich keine Verräter in meinen Reihen will. Das bedeutet es.«
    Ich hole tief Luft, presse die Knie zusammen und umfasse sie mit den Händen.
    »Wie dem auch sei, es interessiert mich wenig zu erfahren, wie und warum Sie die Übergabe vereitelt haben. Jetzt will ich nur wissen, wo Daniele Mastronero ist.«
    Ich lasse die Sekunden wie Tropfen fallen. Sinnlos. Sich zu verstecken hat keinen Sinn mehr, und das weiß ich gut. Ich werde niemals für einen solchen Moment bereit sein. Die Kerzen flackern auf wie ein einziges Feuer, und ich muss die Augen schließen, wenigstens für einen Moment.
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
    »Nein?«
    »Nein.«
    »Ich nehme das als ein Schuldeingeständnis.«
    »Nehmen Sie es, wie Sie wollen. Ich habe eine Abmachung mit ihm getroffen.«
    Er wendet sich zur anderen Seite, verzieht die Lippen wie einer, der einen üblen Geruch wahrgenommen hat.
    »Eine Abmachung. Eine Abmachung mit einem, der drei Menschen niedergemäht hat.«
    »Sind Sie sicher, dass er es war?«
    Er antwortet mir mit einem langsamen Luftholen. Durch die Nase.
    »Und Sie sind sicher, dass Sie sich eine solche Frage erlauben können? Nach anderthalb Jahren beim Überfallkommando und einem bei der Verkehrspolizei? Erzählen Sie mir von dieser Abmachung, los. Ich bin wirklich neugierig. Ich habe Sie eigens hierherbringen lassen.«
    »Daniele Mastronero weiß, welches Gesicht die Person, von der auch Sie vorhin gesprochen haben, hat und welchen Namen sie benutzt.«

    Ich drehe mich zu ihm hin, weil ich sehen will, was für ein Gesicht er macht. Es ist gleichgültig (er glaubt mir kein Wort).
    »Und er spürt wohl ganz plötzlich das Bedürfnis, es uns zu sagen.«
    »Er hat sich angeboten, mich zu ihm zu bringen.«
    »Ich nehme an, er will eine Gegenleistung.«
    »Er will Geld, um wegzugehen, zu verschwinden.«
    D’Intrò nickt, betrachtet den Fußboden, als wäre da eine heruntergefallene Münze oder ein Insekt, das sich schnell verkriecht.
    »Hören Sie mir gut zu: Sie wissen, dass Sie in grober Weise gegen die Dienstvorschriften verstoßen haben?«
    »Ich habe es getan, um das Leben der unter Schutz stehenden Person zu retten.«
    »Sind Sie davon überzeugt?«
    »Ja. Wir haben einen Maulwurf im System, und das bin nicht ich, Dottor D’Intrò.«
    »Haben Sie Ihren Vorgesetzten bei der regionalen Polizeieinheit darüber informiert?«
    »Nein.«
    »Gut. Und was gibt Ihnen das Recht, Abmachungen mit einer unter Schutz stehenden Person zu schließen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Haben Sie jemanden um die Erlaubnis gefragt, diese Abmachung zu treffen?«
    »Niemanden.«
    »Und wer sagt Ihnen, dass eine Bestie wie Mastronero eine Abmachung einhält?«
    »Ich glaube nicht, dass er andere Möglichkeiten hat.«
    D’Intrò steckt einen Finger in seinen Hemdkragen, seufzt, lässt sich dann von den Kerzen vor dem Altar hypnotisieren. Sein Mund ist ein schmaler Strich über einem Kinn, das runzlig wird, weil er so wütend ist.
    »Also nehmen wir einmal

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