Camp Concentration
sagte lächelnd:
»Ob das ein Erdbeben war? Nein, wahrscheinlich ist meine Phantasie etwas überreizt wie die von Bruder Hugo. Aber jetzt müssen Sie mir ganz ehrlich sagen, was Sie von meinem Laboratorium halten. Genügt es den Ansprüchen?«
»O ja, es ist großartig.«
»Kann sich ein Gefangener eine bessere Zelle wünschen?«
»Wenn er ein Alchimist ist, bestimmt nicht.«
»Und es fehlt wirklich nichts, wirklich gar nichts?«
Vorsichtig (denn mir war nicht klar, worauf seine drängende Frage abzielte) sagte ich: »Ich habe gelesen, daß einige Alchimisten des 16. und 17. Jahrhunderts in ihren Laboratorien Orgeln mit sieben Pfeifen stehen hatten. Musik im Kuhstall fördert die Milchproduktion. Vielleicht würde sie auch Ihre Arbeit günstig beeinflussen.«
»Musik? Ich hasse Musik. Mein Vater war Jazzmusiker, und meine beiden älteren Brüder auch. Allerbescheidenstes Kaliber, aber die Musik war ihr Leben. Wenn sie nicht übten, hörten sie sich Schallplatten an oder ließen das Radio spielen. Wenn ich nur den Mund auftat oder das geringste Geräusch machte, wurden sie wild. Erzählen Sie mir bloß nichts von Musik! Es heißt, Nigger hätten ein natürliches Gefühl für Rhythmus, also mußte ich mit drei Jahren Unterricht im Steptanz nehmen. Der Lehrer zeigte uns Bilder aus alten Filmen mit Shirley Temple, und wir mußten sie nachäffen - jedes Lächeln, jedes Augenzwinkern. Als ich sechs war, ließ mich Mammy in der Donnerstagabend-Nachwuchsvorstellung auftreten. Sie hatte mich in ein stinkfeines Engelkostüm gesteckt, lauter Flitter und Chintz. Meine Nummer hieß: Ich bau eine Treppe ins Paradies. Kennen Sie den Schlager?«
Ich verneinte.
»Er geht so ...« Er begann in krächzendem Papageienfalsett zu singen und auf dem Teppich zu tanzen.
»Verdammter Mist! Wie soll ich das auf diesem Scheißteppich hinkriegen?« Er griff nach der Kante des gemusterten Teppichs, zog ihn über die Fliesen und schleifte umgefallene Möbelstücke mit.
Dann setzte er, lauter als zuvor, seinen grotesken Gesang und Tanz fort:
»Ich bau eine Treppe ins Paradies,
jeden Tag eine Stufe mehr ...«
Er begann, die Arme taktwidrig zu schwenken. Seine Tanzschritte gingen in wüstes Gestampfe über. »Und ich werd es erreichen, das Paradies«, schrie er gellend. Dann riß er beide Beine hoch und fiel auf den Rücken. Das Lied zerbarst in Schmerzensschreie. Noch am Boden um sich schlagend, hämmerte er mit dem Kopf wild gegen die Fliesen.
Der Anfall hatte kaum begonnen, als auch schon die Wärter mit einem Sanitäter erschienen. Sie bändigten Mordecai und gaben ihm ein Schlafmittel.
»Sie müssen ihn vorläufig allein lassen«, sagte der Oberaufseher.
»Moment, ich sollte etwas mitnehmen.«
Ich ging zu Mordecais Arbeitstisch und holte den Umschlag mit der Aufschrift STRENG GEHEIM, der mir aufgefallen war, als Mordecai den Atlas aufgeschlagen hatte.
»Sind Sie dazu ermächtigt?« fragte der Aufseher.
»Es handelt sich um eine Erzählung, die er geschrieben hat.« Ich zog die Manuskriptseiten aus dem Umschlag und zeigte ihm den Titel - Porträt des Pompanianus. »Er bat mich, sie zu lesen.«
Er sah rasch weg. »Okay, okay. Aber um Himmels willen, zeigen Sie mir so was nicht!«
Dann ging ich mit dem Sanitäter und den Wächtern hinaus. Woher kommt es, daß ich nach jedem Zusammensein mit Mordecai ein Gefühl habe, als sei ich soeben durch ein wichtiges Examen gefallen?
Später
Eine Mitteilung von Mordecai. Er behauptet, er fühle sich wohler als je.
17. Juni
Es bereitet ein starkes Lustgefühl und einen entsprechend starken Schmerz (die einzige Metapher, die mir dazu einfällt, ist schrecklich banal), ein neuer Œuvre!
Daß Louie II. kürzlich in diese Aufzeichnungen eindrang, könnte sich in gewisser Hinsicht günstig auswirken: Es hat mich bewogen (oder besser gezwungen), meine bisherigen Werke kritischer zu betrachten und einzusehen, wie gekünstelt sie waren ... und sind. In dieses Urteil beziehe ich übrigens auch jene Sturzflut von verstiegenen Ideen, den Hierodule, ein.
Außer den bereits im Entstehen begriffenen Werken schwebt mir etwas Größeres vor, mein Magnum Opus vielleicht. Die Anregung dazu verdanke ich zum Teil Mordecais Gotteslästerungen ...
Habe Porträt des Pompanianus gelesen. Es ist besser, als ich erwartet hatte, und doch seltsam enttäuschend. Ich glaube, es paßt mir nicht recht, daß die Geschichte so souverän erzählt, die Fabel so raffiniert erfunden und die Sprache so schön und
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