Camp Concentration
die Herstellerfirma werbend, um Neutralität bemüht, ängstlich besorgt, keine Besorgnis zu erregen - wie die Uhren in öffentlichen Gebäuden. Aber ihre Minutenzeiger bewegen sich nicht - wie die anderer elektrischer Uhren - mit langsamer, unmerklicher Regelmäßigkeit, sondern springen, die Zeit zerschneidend, jede halbe Minute abrupt, enervierend weiter. Der Zeiger ist ein Pfeil, der aus der geraden Flugbahn in eine Kreisbahn gezwungen wurde. Zuerst hört man ihn schwirren, dann trifft er todsicher ins Ziel, in dem er noch einen Augenblick lang vibriert. Man scheut sich, die Zeit von solchen Apparaturen abzulesen.
Das Fehlen jeglicher Naturerscheinung. Keine Sonne, keins der von ihr bewirkten Phänomene. Keine Farben, außer denen, die wir selbst auf die Wände gestrichen haben, und denen, die wir an uns tragen; alle anderen existieren nur noch in unserer Vorstellung. Keine Autos oder Schiffe oder Karren oder Ballons oder andere sichtbare Transportmittel (wir benutzen immer nur Fahrstühle). Kein Regen, kein Wind, kein Anzeichen dessen, was man ›Klima‹ nennt. Keine Landschaft (wie herrlich würde uns jetzt sogar die Prärie von Nebraska erscheinen oder auch nur eine endlose Wüste!); keine Meeresküste, kein Himmel ! Keine Bäume, kein Gras, kein Erdreich - nur unsere eigene, verkümmernde Existenz. Sogar die einfachen, natürlichen Dinge, mit denen wir noch umgehen - Türen, Stühle, Schalen mit Obst, Wasserkrüge, ausgezogene Schuhe -, werden allmählich unwirklich. Irgendwann, so scheint es, wird sich das alles verflüchtigen. (Dieser Gedanke stammt übrigens nicht von mir, sondern von Barry Meade.)
Das Diktat der Mode. Als wollten sie die relativ große Freiheit, die man uns hier zugesteht, parodieren, huldigen die Gefangenen einem maßlosen, absurden Dandytum, das sich weniger darin äußert, daß sie gut gekleidet sein wollen, als vielmehr in ihrem Bestreben, allem voraus zu sein, was in His oder Time als letzter Schrei bezeichnet wird; Perücken, Sporen, Puder, Duftwässerchen, Strand- und Skibekleidung - was man sich nur denken kann. Aber so plötzlich diese seltsamen Blumen aufblühen, so rasch verwelken sie wieder; der morgendliche Ästhet wird am Nachmittag zum Asketen in einem zusammengewürfelten Gefangenenhabit, wie es kein anständiges Zuchthaus seinen Insassen zumuten würde. Ich glaube, ihr Dandytum ist eine wehmütige Solidaritätserklärung gegenüber der Außenwelt und der Vergangenheit, während die gegenteilige Reaktion die Verzweiflung über die Unerreichbarkeit dieser Solidarität darstellt.
Das Essen. Hier wird unglaublich gut gekocht. Heute zum Beispiel hatte ich zum Frühstück folgendes ausgewählt: gebratene Bananen, mit Semmelbröseln überbackene Eier in scharfer Tomatensauce, Bratwürstchen, heiße süße Brötchen und Cappuccino. Zum Mittagessen, das ich mit Barry Meade und dem Bischof in dessen Zimmer einnahm, ließ ich mir servieren: ein halbes Dutzend Austern, Kressensalat, Krammetsvögel auf Wildreis, kalten Spargel und zum Nachtisch dame blanche mit gesäuerter Schlagsahne und Grenadine. Es war ein Mahl, das geradezu nach Champagner schrie, da aber meine beiden Gefährten nichts trinken wollten (oder konnten), begnügte ich mich mit Oulmes, einem marokkanischen Mineralwasser. (Wenn ich schon auf Champagner verzichten muß, will ich wenigstens unseren ›Gastgebern‹ recht viel Mühe machen.) Das Abendessen ist für die meisten Gefangenen das gesellschaftliche Ereignis des Tages, und alle nehmen sich viel Zeit dafür. Aus dem hervorragenden Angebot bestellte ich Schildkrötensuppe, Kalbsbries als Vorspeise, römischen Salat, Forelle vom Holzkohlengrill, Rehmedaillons mit Johannisbeerkompott, geschmorte Karotten, grüne Bohnen mit Mandeln, ein merkwürdig schaumiges Kartoffelgericht und zum Nachtisch zwei Portionen Kaiserschmarren. (Ich habe zugenommen wie nie zuvor, denn nie zuvor hatte ich Gelegenheit, Tag für Tag so zu schlemmen, und nie zuvor weniger Grund, um meine ›Figur‹ besorgt zu sein. Die anderen Gefangenen bestaunen mich wie ein Wunderwesen, da sie selbst wenig Appetit haben - kein Wunder bei zum Tod Verurteilten, die zudem todkrank sind. Daß sie auf diesen Banketten bestehen, ist eine Art Perversität: »Wir wollen die guten Sachen wenigstens sehen!«)
Die Zellen. Das einzige, was sie gemeinsam haben, ist die Extravaganz und Kostspieligkeit der jeweiligen Ausstattung. Seiner priesterlichen Rolle entsprechend, bevorzugt der Bischof Kirchenmobiliar.
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