Camping-Daggys letzter Kunde ROTE LATERNE ROMAN Band Nr. 4 (German Edition)
ging alles so schnell, dass man nur ahnen konnte, um wen es sich handelte. Vom Küchenfenster aus sah man ein paar Kleidungsstücke in den Garten fliegen.
Totenstille!
Dann erschien Luzie. Sie strahlte wie ein Morgen im Mai. Die rote Perücke hing schief, vom Büstenhalter fehlte ein Träger, die schwarzen Strümpfe hatten Löcher und Laufmaschen. Doch Luzie selbst war heil.
»Na, was sagt ihr, Kinder!«
Madame stöhnte. Daggy grinste.
»Diese Nummer«, sagte Luzie stolz, »diese Nummer muss auf die Bühne!«
Madame war einem Nervenzusammenbruch nahe.
»Reg dich ab, mein Herz«, bat Daggy ruhig. »Es ist überstanden. Der kommt nie wieder. Darauf kannst du dich verlassen.«
»Das ist schade«, meinte Luzie. »Es war so amüsant. Besonders, als er auf den Schrank zu flüchten versuchte. Mein Gott, er fand die Tür nicht! Das Bett ist übrigens kaputt.«
»Kaputt?«, fragte Madame stöhnend.
»Die Füße«, meint Luzie. »Die Füße waren nicht mehr die besten. Ich kaufe ein neues. So schnell hab ich noch nie tausend Francs verdient. Ja, es ist schade, dass er nicht wiederkommt. Ich könnte ein stabileres Bett kaufen, und der Schrank müsste ein bisschen niedriger sein. Ich meine ...«
»Luzie, du bist Tänzerin«, mahnte Madame mit ersterbender Stimme.
»Ich war, Yvonne, ich war. Ab heute kann mir Daggy die schwierigen Fälle schicken. Es war wirklich lustig!«
»Diese Mädchen«, jammerte Yvonne. »Sie bringen mich noch ins Grab. Womit habe ich das verdient? Sie ruinieren mir das Haus. Ich habe mir doch immer so sehr ein Theater gewünscht«
Madame sah Daggy an. In ihren Augen glitzerten Tränen.
»Nimm es leicht«, meinte Daggy. »Man kann nicht alles haben. Die ganze Welt ist ein Theater, Cherie. Und wir spielen alle nur unsere Rollen. Wir müssen sie gut spielen. Du, ich, Luzie und alle anderen - denn einmal ist es ja doch vorbei. Lass uns das Beste daraus machen.«
Yvonne schnäuzte sich.
»Was war los?«, fragte Juliette. Sie trug ihr zartes Schneeflockenkostüm. Die großen, schwarzen Augen blickten staunend und ruhig.
»Nichts von Bedeutung, Juliette«, sagte Daggy. »Tanze, mein Kind, denn du bist eine Tänzerin.«
»Wirklich?«,
Daggy nickte.
»Ja, Juliette, du wirst sicher einmal sehr berühmt werden. Irgendwann, wenn die Sterne es wollen.«
»Hilfst du mir, den Reißverschluss hochzuziehen?«, fragte Juliette. Daggy nickte. Dann ging sie mit dem zerbrechlichen Wesen hinter die Bühne. Dort gab es einen kleinen Raum, in dem eine trübe Glühbirne von der abgeblätterten Decke baumelte. Daggy zog den Reißverschluss hoch.
»Daggy?«,
»Ja, Cherie?«,
»Daggy, wenn du fortgehst, musst du mich mitnehmen«, flüsterte Juliette. Die großen braunen Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. »Ich will hier nicht mehr bleiben. Ich kann dieses Leben nicht leben ...«
»Aber Juliette, du weinst ja«, murmelte Daggy erschüttert. Sie zog sich einen der schäbigen Hocker herbei, setzte sich und legte den Arm um die zierlichen Schultern der anderen.
»Nein, nein, Daggy«, erwiderte die zarte Schneeflocke unter Tränen. »Ich wollte immer tanzen. Aber mein Traum hat sich nicht erfüllt. Nimm mich mit, weit fort. Ich gehe an dieser Welt zugrunde!«
»Juliette«, sagte Daggy. Sie drehte das Mädchen zu sich, um ihm fest in die schönen Augen blicken zu können. »Meine Welt ist eine andere. Du kannst nicht mit mir kommen. Geh nach Paris. Fang klein an. Es gibt gute Theater. Übe, denn du kannst etwas ...«
»Ich will nicht so sein!«
»Wie willst du nicht sein?«,
»So wie du, Daggy!«
Daggy senkte den Kopf. Plötzlich schössen ihr Tränen in die Augen. Ein Film lief vor ihren Augen ab, rasch und intensiv.
»Du wärst keine gute Dirne, Juliette«, sagte Daggy schließlich gefasst. »Du bist ein Mädchen, das man lieben muss. Du bist zu schade für vieles. Du brauchst nur einen. Such ihn dir, Juliette. Du bist zu ehrlich für dieses Geschäft. Es ist schmutzig, aber es muss sein. Und nun Kopf hoch. Jeder Mensch hat einen Engel. Du hast einen guten Engel, der dich auf deinem Weg begleiten wird. Geh raus und tanze. Vergiss, dass sie nur deinen Körper sehen wollen. Schließ die Augen und tanze für dich. Für dich allein. Einmal wirst du für viele tanzen; und dann wirst du geliebt werden, so, wie du es verdienst.« Daggy stand auf.
»Ich muss wieder arbeiten, Cherie. Tanze, Juliette!«
»Danke, Daggy!«
»Wofür?«,
»Für alles; denn du hast mir jetzt sehr geholfen. Wenn
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