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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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Mord die Rechtfertigung ab, da sie prinzipiell Protest gegen den Tod ist.
    Wäre jedoch der Mensch imstande, allein der Welt die Einheit zu geben, könnte er durch einen bloßen Befehl die Aufrichtigkeit, Unschuld und Gerechtigkeit herrschen lassen, so wäre er Gott selbst. Wenn er es daher könnte, wäre die Revoltegrundlos. Es gibt die Revolte, weil die Lüge, Ungerechtigkeit und Gewalt teilweise das Geschick des Rebellen ausmachen. Er kann also nicht absolut danach streben, nicht zu töten oder zu lügen, ohne auf seine Revolte zu verzichten und ein für alle Mal den Mord und das Böse hinzunehmen. Aber er kann ebenso wenig den Tod und die Lüge dulden, da ja die umgekehrte Bewegung, die Mord und Gewalt legitimierte, auch die Gründe seines Aufstands vernichten würde. Der Revoltierende kann somit keine Ruhe finden. Er kennt das Gute und tut das Böse gegen seinen Willen. Der Wert, der ihn aufrecht hält, ist ihm nicht ein für alle Mal gegeben, er muss ihn unablässig hochhalten. Das Sein, das er erhält, bricht zusammen, wenn die Revolte ihn nicht von neuem stützt. Wenn er auch nicht immer direkt oder indirekt ums Töten herumkommt, kann er auf jeden Fall sein Fieber und seine Leidenschaft darauf wenden, die Aussichten des Mords in seiner Umgebung zu vermindern. Seine einzige Tugend ist, von der Finsternis, in die er gesteckt ist, sich nicht betäuben zu lassen, an das Böse angekettet, sich hartnäckig auf das Gute zuzuschleppen. Wenn er schließlich selbst tötet, nimmt er den Tod auf sich. Seinen Ursprüngen getreu, beweist der Rebell durch sein Opfer, dass seine wahre Freiheit nicht in Hinsicht auf den Mord, sondern auf seinen eigenen Tod besteht. Er entdeckt gleichzeitig die metaphysische Ehre. Kaliayew stellt sich unter den Galgen und bezeichnet allen seinen Brüdern sichtbar die genaue Grenze, wo die Ehre des Menschen beginnt und endet.

    Der geschichtliche Mord

    Die Revolte entfaltet sich auch in der Geschichte, die nicht nur beispielhafte Entscheidungen, sondern auch wirksame Haltungen verlangt. Der rationale Mord könnte dadurch gerechtfertigt werden. Der Widerspruch der Revolte schlägt sich nun in anscheinend unlösbaren Antinomien nieder, deren Vorbild in der Politik der Gegensatz von Gewalt und Gewaltlosigkeit einerseits, der von Gerechtigkeit und Freiheit anderseits ist. Wir wollen sie in ihrem Paradox zu definieren versuchen.
    Der positive Wert, den die erste Bewegung der Revolte enthält, setzt den Verzicht auf die Gewalt als Prinzip voraus. Er hat somit die Unmöglichkeit, eine Revolution zu festigen, zur Folge. Die Revolte ist unablässig mit diesem Widerspruch behaftet. Auf der Ebene der Geschichte versteift er sich noch. Wenn ich darauf verzichte, der menschlichen Identität Respekt zu verschaffen, danke ich vor dem Unterdrücker ab, verzichte ich auf die Revolte und kehre zu einer nihilistischen Zustimmung zurück. Dann wird der Nihilismus konservativ. Fordere ich, dass diese Identität anerkannt werde, damit sie sei, so lasse ich mich in eine Handlung ein, die, um zu gelingen, einen Zynismus der Gewalt voraussetzt, und leugne diese Identität sowie die Revolte selbst. Um den Widerspruch noch auszudehnen: Wenn die Einheit der Welt dem Menschen nicht von oben zufällt, muss er sie auf seiner Höhe errichten, in der Geschichte. Ohne Wert, der sie verwandelt, wird die Geschichte durch das Gesetz der Wirksamkeit beherrscht. Der historische Materialismus, der Determinismus, die Gewalt, die Leugnung jeglicher Freiheit, die nicht im Sinn der Wirksamkeit liegt, die Welt des Muts und des Schweigens sind die legitimsten Folgen einer reinen Geschichtsphilosophie. In der Welt von heute kann nur eine Philosophie derEwigkeit die Gewaltlosigkeit rechtfertigen. Der absoluten Geschichtlichkeit hält sie die Erschaffung der Geschichte entgegen, die geschichtliche Situation fragt sie nach ihrem Ursprung. Am Schluss die Ungerechtigkeit besiegelnd, überlässt sie Gott die Sorge um die Gerechtigkeit. Daher werden ihre Antworten wiederum den Glauben erfordern. Man wird gegen sie das Böse einwenden und das Paradox eines allmächtigen und übeltätigen oder gutmütigen und unfruchtbaren Gottes. Die Wahl zwischen der Gnade und der Geschichte, zwischen Gott und dem Schwert bleibt offen.
    Was kann dann die Haltung des Revoltierenden sein? Er kann sich nicht von der Welt und der Geschichte abkehren, ohne nicht gerade den Grund seiner Revolte zu verleugnen, sich für das ewige Leben entscheiden, ohne sich in einem

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