Camus, Albert
Feindschaft verewigt, die den Unterdrückten vom Unterdrücker trennt. Sie tötet das wenige Sein, das durch die Komplizität der Menschen untereinander zur Welt kommen könnte. Gleicherweise wird die Lüge geächtet, denn der Lügner schließt sich von den andern Menschen ab, und, auf einer unteren Stufe, der Mord und die Gewalttat, die das endgültige Schweigen auferlegen. Die Komplizität und die Verbundenheit, die die Revolte entdeckt, können nur im freien Dialog leben. Jede Doppeldeutigkeit, jedes Missverständnis führt den Tod herbei; nur die klare Sprache, das einfache Wort kann davor bewahren. 111 Der Gipfel aller Tragödien liegt in der Taubheit der Helden. Platon hat gegen Moses und Nietzsche recht. Der Dialog auf menschlicher Ebene kostet weniger als das Evangelium der totalitären Religionen, ein Monolog, von der Höhe eines einsamen Berges herab diktiert. Auf der Bühne wie im Leben geht der Monolog dem Tod voraus. Jeder Revoltierende plädiert also, allein durch seine Erhebungim Angesicht des Unterdrückers, für das Leben, verpflichtet sich, gegen die Knechtschaft, die Lüge und den Terror zu kämpfen, und bekräftigt blitzartig, dass diese drei Plagen das Schweigen zwischen den Menschen herrschen lassen, einen vor dem andern verdunkeln und sie hindern, sich im einzigen Wert zusammenzufinden, der sie vor dem Nihilismus retten könnte: der Komplizität der Menschen, die mit ihrem Schicksal ringen.
Blitzartig, aber das genügt vorläufig, um zu sagen, die äußerste Freiheit, die des Tötens, sei mit den Gründen der Revolte nicht vereinbar. Die Revolte ist keineswegs eine Forderung nach vollständiger Freiheit. Im Gegenteil, die Revolte macht der vollständigen Freiheit den Prozess. Sie bestreitet gerade die unbegrenzte Macht, die einem Höheren gestattet, die verbotene Grenze zu verletzen. Weit entfernt, eine allgemeine Unabhängigkeit zu fordern, will die Revolte die Anerkennung der Tatsache, dass die Freiheit überall da eine Grenze habe, wo sich ein menschliches Wesen befindet, denn die Grenze ist eben die Macht der Revolte dieses Wesens. Hier liegt der tiefe Grund der Unnachgiebigkeit der Revolte. Je mehr die Revolte das Bewusstsein hat, eine gerechte Grenze zu fordern, umso unbeugsamer ist sie. Der Revoltierende verlangt ohne Zweifel eine gewisse Freiheit für sich selbst, aber keinesfalls, wenn er konsequent ist, das Recht, das Wesen und die Freiheit des andern zu vernichten. Er demütigt niemanden. Die Freiheit, die er fordert, fordert er für alle; diejenige, die er ablehnt, verbietet er allen. Er ist nicht nur Sklave gegen den Herrn, sondern auch Mensch gegen die Welt von Herr und Knecht. Dank der Revolte gibt es somit in der Geschichte etwas mehr als die Beziehung von Herrentum und Knechtschaft. Die unbegrenzte Macht ist darin nicht das einzige Gesetz. Im Namen eines anderen Wertes versichert er die Unmöglichkeit der totalen Freiheit, während er zugleichfür sich die relative Freiheit verlangt, die notwendig ist zur Feststellung dieser Unmöglichkeit. Jede menschliche Freiheit ist an ihrem Ursprung relative Freiheit. Die absolute Freiheit, die des Tötens, ist die einzige, die nicht zu gleicher Zeit das verlangt, was sie begrenzt. Sie löst sich also von ihren Wurzeln und irrt aufs Geratewohl, ein abstrakter und böser Schatten, bis sie glaubt, in der Ideologie einen Leib gefunden zu haben.
Es ist also möglich zu sagen, dass die Revolte, wenn sie in die Zerstörung einmündet, unlogisch ist. Indem sie die Einheit des menschlichen Geschicks verlangt, ist sie eine Lebens-, keine Todeskraft. Ihre innere Logik ist nicht die der Zerstörung, sondern der Erschaffung. Um echt zu bleiben, darf ihre Bewegung keines der Elemente des Widerspruchs preisgeben, der sie stützt. Sie muss dem
Ja
treu bleiben, das sie enthält, ebenso wie dem
Nein,
das die nihilistischen Deutungen in der Revolte isolieren. Die Logik des Revoltierenden ist, der Gerechtigkeit dienen zu wollen, um nicht die Ungerechtigkeit des Geschicks zu vergrößern, sich einer klaren Sprache zu befleißigen, um nicht die allgemeine Lüge zu verstärken und angesichts des Schmerzes der Menschen auf das Glück zu setzen. Die nihilistische Leidenschaft, die die Lüge und die Ungerechtigkeit vermehrt, vernichtet in ihrer Wut ihre alte Forderung und beraubt sich damit der einleuchtendsten Gründe für ihre Revolte. Von Sinnen durch das Gefühl, dass die Welt todgeweiht ist, tötet sie. Die Konsequenz der Revolte spricht im Gegenteil dem
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