Camus, Albert
diese Welt keinen höheren Sinn, der Mensch nur den Menschen als Bürgen hat, genügt es, dass ein Mensch ein einziges Wesen ausder Gesellschaft der Lebenden ausschließt, um selbst von ihr ausgeschlossen zu sein. Als Kain den Abel tötete, floh er in die Wüste. Und wenn die Mörder Legion sind, lebt diese Legion in der Wüste und in jener andern Art Einsamkeit, genannt Promiskuität.
Sobald der Rebell zuschlägt, schneidet er die Welt entzwei. Er erhob sich im Namen der Identität eines Menschen mit dem andern, er opfert diese Identität, indem er den Unterschied im Blut besiegelt. Sein einziges Sein, mitten im Elend und der Unterdrückung, bestand in dieser Identität. Die gleiche Bewegung, die es bekräftigen wollte, lässt es aufhören zu sein. Er kann sagen, einige oder fast alle seien mit ihm. Aber wenn ein einziges Wesen in der unersetzlichen Welt der Brüderlichkeit fehlt, ist sie entvölkert. Wenn wir nicht sind, bin ich nicht, damit erklärt sich Kaliayews unendliche Traurigkeit und Saint-Justs Schweigen. Die Revoltierenden, entschlossen, sich der Gewalt und des Mords zu bedienen, können lange, um die Hoffnung zu sein zu bewahren, das
‹Wir sind.›
durch ein
‹Wir werden sein›
ersetzen. Wenn der Mörder und das Opfer verschwunden sind, wird sich die Gemeinschaft ohne sie erneuern. Die Zeit der Ausnahme wird vorüber sein, das Gesetz wird wieder möglich werden. Auf der Stufe der Geschichte, wie im individuellen Leben, ist der Mord somit eine verzweifelte Ausnahme, oder er ist nichts. Der Einbruch, den er in das Gesetz der Dinge verübt, bleibt ohne Folgen. Er ist ungewöhnlich und kann nicht, wie es die rein geschichtliche Haltung will, systematisiert werden. Er ist die Grenze, die man nur einmal erreichen kann und nach der man sterben muss. Der Revoltierende kann sich nur auf eine Weise mit der mörderischen Tat versöhnen, wenn er sich zu ihr hinreißen ließ: durch die Hinnahme seines eigenen Tods. Er tötet und stirbt, damit es ersichtlich werde, dass der Mord unmöglich ist. Er zeigt dadurch, dass er in Wirklichkeitdas
‹Wir sind›
dem
‹Wir werden sein.›
vorzieht. Kaliayews stilles Glück im Gefängnis, Saint-Justs Heiterkeit auf dem Weg zur Guillotine sind wiederum erklärlich. Jenseits dieser äußersten Grenze beginnt der Nihilismus.
Der nihilistische Mord
Das irrationale und das rationale Verbrechen verraten gleicherweise den Wert, den die Bewegung der Revolte an den Tag gebracht hat. Zuvörderst jedoch das Erstere. Der alles leugnet und sich gestattet zu töten, Sade, der mörderische Dandy, der unbarmherzige Einzige, Karamasow, die Anhänger des entfesselten Räubers, der Surrealist, der in die Menge schießt, fordern, alles in allem, die völlige Freiheit, die grenzenlose Entfaltung des menschlichen Hochmuts. Der Nihilismus richtet seine Wut zugleich gegen Schöpfer und Geschöpfe. Er hebt jedes Prinzip der Hoffnung auf, verwirft jede Grenze und urteilt schließlich, verblendet in einer Entrüstung, die nicht einmal ihrer Gründe gewahr wird, es sei gleichgültig, das ohnehin Todgeweihte zu töten.
Aber diese Gründe, die gegenseitige Anerkennung eines gemeinsamen Schicksals, die Verbindung der Menschen untereinander, sind immer noch wirksam. Die Revolte verkündete sie und verpflichtete sich, ihnen zu dienen. Gleichzeitig stellte sie gegen den Nihilismus eine Verhaltensregel auf, die nicht das Ende der Geschichte abzuwarten braucht, um die Tat zu beleuchten, und dennoch nicht formal ist. Sie berücksichtigte im Gegensatz zur jakobinischen Moral gerade das, was der Regel und dem Gesetz entgeht. Sie öffnete den Weg einer Moral, die, weit entfernt, abstrakten Prinzipien zu gehorchen, die ihrigen erst in der Hitze des Aufstands entdeckt. Nichts erlaubt zu sagen, diese Prinzipien seien ewiggewesen, es nützt nichts, zu sagen, sie werden es sein. Aber sie sind zugleich, während wir sind. Sie verneinen mit uns durch die Geschichte hindurch die Knechtschaft, die Lüge und den Terror.
Es gibt in der Tat Gemeinsames zwischen Herren und Sklaven, man kann nicht mit einem geknechteten Wesen sprechen. Statt dieses freien Dialogs, durch den wir unsere Ähnlichkeit anerkennen und unser Schicksal bestätigen, lässt die Knechtschaft das schrecklichste der Schweigen herrschen. Wenn die Ungerechtigkeit für den Revoltierenden etwas Böses ist, so nicht, weil sie einer ewigen Vorstellung der Gerechtigkeit widerspricht, die wir nicht wissen, wo anzusiedeln, sondern weil sie die stumme
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