Camus, Albert
Lautréamont, dass die Revolte in Jünglingsjahren ist. Unsere großen Terroristen der Bombe und der Dichtung sind kaum der Kindheit entwachsen. Die ‹Gesänge Maldorors› sind das Werk eines beinahe genialen Gymnasiasten; ihr Pathos gewinnen sie gerade aus den Widersprüchen eines kindlichen Herzens, das sich auflehnt gegen die Schöpfung und gegen sich selbst. Wie der Rimbaud der ‹llluminations›, an die Grenzen der Welt geworfen, wählt der Dichter zuerst lieber den Weltuntergang und die Zerstörung, als dass er das unmögliche Gesetz annähme, das ihn zu dem macht, der er ist, in einer Welt, wie sie nun ist.
«Ich anerbiete mich, den Menschen zu verteidigen», sagt Lautréamont ohne Einfachheit. Ist demnach Maldoror der Engel des Mitleids? In einem gewissen Sinn sicher, da er mit sich selbst Mitleid hat. Warum? Das bleibt zu entdecken. Doch das enttäuschte, verletzte, nicht einzugestehende und uneingestandene Mitleid treibt ihn zu sonderbaren Extremen. Gemäß seinen eigenen Worten hat Maldoror das Leben wie eine Wunde empfangen und hat dem Selbstmord verboten, die Narbe
(sic)
zu heilen. Er ist, wie Rimbaud, derjenige, der leidet und sich dagegen aufgelehnt hat; aber geheimnisvollerweise scheut er davor zurück, auszusprechen, dass er sich gegen das auflehnt, was er ist, und gibt das ewige Alibi des Empörers vor: die Liebe zu den Menschen.
Freilich schreibt der, der sich zur Verteidigung des Menschen anerbietet, zu gleicher Zeit: «Zeige mir einen Menschen, der gut ist.» Diese unaufhörliche Bewegung ist diejenige der nihilistischen Revolte. Man erhebt sich gegen die Ungerechtigkeit, die einem selbst und dem Menschen angetan wird. Aber im Augenblick der Klarheit, da man zugleich die Berechtigung dieser Revolte und ihre Ohnmacht einsieht,greift die Wut der Verneinung auch auf das über, was man verteidigen wollte. Da man die Ungerechtigkeit nicht durch die Aufrichtung der Gerechtigkeit heilen kann, zieht man es vor, sie in einer noch ausgedehnteren Ungerechtigkeit zu ertränken, die am Schluss mit der Vernichtung übereinstimmt. «Das Böse, das ihr mir angetan habt, ist zu groß, zu groß das Böse, das ich euch angetan habe, als dass es willentlich sein könnte.» Um sich nicht selbst zu hassen, müsste man sich unschuldig erklären, für den einzelnen Menschen eine stets unmögliche Kühnheit; dass er sich kennt, hindert ihn. Wenigstens kann man erklären, alle seien unschuldig, obwohl wie Schuldige behandelt. Gott ist dann der Verbrecher.
Von den Romantikern zu Lautréamont gibt es demnach keinen wirklichen Fortschritt, es sei denn im Ton. Lautréamont lässt einmal mehr, mit einiger Vervollkommnung, die Gestalt des Gottes Abrahams und des luziferischen Rebellen auferstehen. Er setzt Gott «auf einen Thron, gebildet aus menschlichen Exkrementen und aus Gold», wo «mit einem idiotischen Stolz, den Leib bedeckt mit einem Leichenkleid aus ungewaschenen Leintüchern, derjenige sitzt, der sich selbst den Schöpfer nennt». «Der grauenhafte Ewige mit dem Viperngesicht», «der verschlagene Bandit», den man sieht «Brände anblasen, in denen Kinder und Greise umkommen», rollt betrunken in die Gosse oder sucht im Bordell gemeine Genüsse. Gott ist nicht tot, er ist gefallen. Gegenüber der gestürzten Gottheit wird Maldoror als ein herkömmlicher Kavalier im schwarzen Mantel dargestellt. Er ist der Verfemte. «Die Augen sollen nicht Zeugen der Hässlichkeit sein, die das höchste Wesen mit einem Lächeln machtvollen Hasses über mich gelegt hat.» Er hat allem abgeschworen, «Vater, Mutter, der Vorsehung, der Liebe, dem Ideal, um nur an sich allein zu denken». Vom Hochmut gefoltert, umgibt diesen Helden der ganze Nimbus des metaphysischen Dandys:«Ein mehr als menschliches Antlitz, traurig wie die Welt, schön wie der Selbstmord.» Wie der romantische Rebell ergreift daher Maldoror, an der göttlichen Gerechtigkeit verzweifelnd, die Partei des Bösen. Leiden machen und dadurch leiden ist sein Programm. Die ‹Gesänge› sind wahre Litaneien des Bösen.
An diesem Wendepunkt verteidigt man nicht einmal mehr die Geschöpfe. Im Gegenteil: «Mit allen Kräften den Menschen, dieses wilde Tier, angreifen, und den Schöpfer …» ist die Absicht der ‹Gesänge›. Erschüttert vom Gedanken, Gott zum Feind zu haben, trunken von der mächtigen Einsamkeit der großen Verbrecher («ich allein gegen die Menschheit»), wirft sich Maldoror der Schöpfung und ihrem Urheber entgegen. Die ‹Gesänge› feiern ‹die
Weitere Kostenlose Bücher