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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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Leser der ‹Gesänge› kann sich des Gedankens erwehren, dass diesem Buch eine
Beichte Stawrogins
fehlt.
    Mangels einer Beichte muss man in den ‹Poésies› eine Verdoppelung jenes mysteriösen Willens zur Sühne sehen. Die gewissen Formen der Revolte eigene Bewegung, die, wie wir sehen werden, darin besteht, am Ende der Abenteuer des Irrationalen die Vernunft wiederherzustellen, die Ordnung mit Hilfe der Unordnung wiederzufinden und sich freiwillig noch schwerere Ketten aufzuladen als die, welche man abschütteln wollte, zeichnet sich in diesem Werk mit einem solchen Willen zur Vereinfachung und einem solchen Zynismus ab, dass diese Glaubensänderung wohl einen Sinn haben muss. Auf die ‹Gesänge›, die das absolute Nein feierten, folgt eine Theorie des absoluten Ja, auf die gnadenlose Revolte der unumschränkte Konformismus. All dies in völliger geistiger Klarsicht. Die beste Erklärung der ‹Gesänge› geben uns tatsächlich die ‹Poésies›. «Die Verzweiflung, die sich voreingenommen von diesen Phantasmagorien nährt, führt unvermeidlich den Schriftsteller zur Abschaffung im Großen der göttlichen und sozialen Gesetze und zur theoretischen und praktischen Schlechtigkeit.» Die ‹Poésies› weisen auch hin auf «die Schuld eines Schriftstellers, der die Abhänge des Nichts hinabrollt und sich selbst mit Freudenrufen verachtet». Aber für dieses Übel geben sie kein anderes Heilmittel als den metaphysischen Konformismus: «Da die Poesie des Zweifels somit an einer derartigen düsteren Verzweiflung und theoretischen Schlechtigkeit anlangt, ist sie von Grund auf falsch, deshalb, weil man darin die Prinzipien diskutiert, und man sie nicht diskutieren soll» . (Brief an Darassé). Diese reizende Begründung fasst alles in allem die Moral des Chorknaben und des militärischen Instruktionsbuches zusammen. Doch der Konformismus kann wild rasend und daher ungewöhnlich sein. Wenn man den Sieg des Übeltäters Adler über den Drachen der Hoffnung gefeiert hat, kann man beharrlich wiederholen, man besinge nichts anderes mehr alsdie Hoffnung; man kann schreiben: «Mit meiner Stimme und der Feierlichkeit der großen Tage rufe ich dich zurück in meine verlassene Stätte, ruhmreiche Hoffnung», und muss erst noch überzeugen. Die Menschheit zu trösten, sie als Bruder zu behandeln, zu Konfuzius, Buddha, Sokrates, Christus zurückzukehren, «Moralisten, die von Dorf zu Dorf zogen und Hunger litten» . (was historisch gewagt ist), sind auch noch Pläne der Verzweiflung. So bewahrt mitten im Laster die Tugend, das geordnete Leben, einen Schimmer von Sehnsucht. Denn Lautréamont lehnt das Gebet ab, und Christus ist für ihn nur ein Moralist. Was er vorschlägt oder vielmehr sich selbst vorschlägt, ist der Agnostizismus und die Pflichterfüllung. Ein so schönes Programm setzt unglücklicherweise das Sichgehenlassen voraus, die Milde des Abends, ein Herz ohne Bitternis, ein entspanntes Meditieren. Lautréamont rührt uns, wenn er plötzlich sagt: «Ich kenne keine andere Gnade als die, geboren zu sein.» Doch man ahnt die aufeinandergebissenen Zähne, wenn er hinzufügt: «Ein unparteiischer Geist findet sie vollkommen.» Es gibt keinen unparteiischen Geist vor dem Leben und dem Tod. Der Rebell flieht, mit Lautréamont, in die Wüste. Aber diese Wüste des Konformismus ist ebenso grausig wie Harrar. Die Neigung zum Absoluten und ebenso die Vernichtungswut machen sie unfruchtbar. Wie Maldoror die totale Revolte begehrte, so verfügt Lautréamont, aus den gleichen Gründen, die absolute Banalität. Den Schrei des Gewissens, den er im Urmeer zu ersticken, in das Heulen der Tiere eintönen zu lassen oder bei anderer Gelegenheit mit der Ausbeutung der Mathematik abzulenken suchte, jetzt will er ihn verstummen machen in der Anwendung eines dumpfen Konformismus. Der Rebell versucht nun, sich taub zu stellen vor dem Ruf jenes Wesens, das auch auf dem Grunde seines Aufstands lauert. Es geht darum, nicht mehr zu sein, indemman sich einesteils weigert zu sein, was auch immer, andernteils indem man einwilligt, gleichgültig was zu sein. 25 In beiden Fällen handelt es sich um eine träumerische Übereinkunft. Auch die Banalität ist eine Haltung.
    Der Konformismus ist eine der nihilistischen Versuchungen der Revolte, die einen großen Teil unserer Geistesgeschichte beherrscht. Sie zeigt auf jeden Fall, wie der zur Tat schreitende Rebell vom größten Konformismus versucht ist, falls er seinen Ursprung vergisst. Sie erklärt

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