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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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Heiligkeit des Verbrechens›, künden eine zunehmende Reihe ‹ruhmvoller Verbrechen› an, und die 20. Stanze des zweiten Gesangs eröffnet sogar eine wahre Erziehungslehre des Verbrechens und der Gewalttat.
    Ein so schöner Eifer ist zu jener Zeit üblich. Er kostet nichts. Lautréamonts wirkliche Originalität liegt anderswo. 24 Die Romantiker hielten sorgfältig den schicksalhaften Gegensatz zwischen der menschlichen Einsamkeit und der Indifferenz Gottes aufrecht; der literarische Ausdruck dieser Einsamkeit war das abgelegene Schloss und der Dandy. Aber Lautréamonts Werk spricht von einem tieferen Drama. Es sieht so aus, als ob diese Einsamkeit ihm unerträglich gewesen wäre und er, im Aufstand gegen die Schöpfung, ihre Schranken hätte zerstören wollen. Weit entfernt davon, mit zinnenbekrönten Türmen das Reich des Menschen zu befestigen,wollte er alle Reiche ineinander überführen. Die Schöpfung wurde von ihm auf die Urmeere zurückgeführt, wo die Moral und alle Probleme zugleich ihren Sinn verlieren, darunter auch das seiner Meinung nach erschreckende Problem der Unsterblichkeit der Seele. Er wollte kein weithin sichtbares Bild des Rebellen oder Dandys der Schöpfung gegenüber aufrichten, sondern den Menschen und die Welt in der gleichen Vernichtung vereinen. Er ging geradenwegs die Grenze an, die Mensch und Welt voneinander trennt. Die völlige Freiheit, insbesondere die des Verbrechens, setzt die Niederreißung der menschlichen Grenzen voraus. Es genügt nicht, alle Menschen und sich selbst der Verwünschung anheimzugeben. Es gilt noch, die Herrschaft des Menschen auf diejenige des Instinktes hinabzuführen. Man findet bei Lautréamont die Abweisung des rationalen Bewusstseins, die Rückkehr zum Elementaren, eines der Kennzeichen einer gegen sich selbst rebellierenden Zivilisation. Es geht nicht mehr darum, durch eine hartnäckige Anstrengung des Bewusstseins zu scheinen, sondern als Bewusstsein nicht mehr zu sein.
    Alle Geschöpfe der ‹Gesänge› sind Amphibien, weil Maldoror das feste Land und seine Begrenzung ablehnt. Die Flora besteht aus Algen und Tang. Maldorors Schloss liegt über den Wassern. Seine Heimat ist der alte Ozean. Der Ozean, doppeltes Symbol, ist zugleich Ort der Vernichtung und der Versöhnung. Er stillt auf seine Weise den gewaltigen Durst der Seelen, die sich der Verachtung der andern und ihrer selbst weihen, den Durst, nicht mehr zu sein. Die ‹Gesänge› wären somit unsere ‹Metamorphosen›, in denen das Lächeln der Antike ersetzt ist durch das Lachen eines Mundes, der sich mit dem Rasiermesser geschnitten hat; das Bild eines gewaltsamen, zähneknirschenden Humors. Dies Bestiarium kann nicht all den Sinn enthalten, den man darinfinden wollte, aber es enthüllt zum mindesten einen Vernichtungswillen, dessen Quelle im schwärzesten Herzen der Revolte liegt. Pascals ‹Werdet Tiere› erhält bei ihm einen wörtlichen Sinn. Anscheinend hat Lautréamont die kalte und unbarmherzige Klarheit nicht ertragen können, in der man ausharren muss, um zu leben. «Meine Subjektivität und ein Schöpfer, das ist zu viel für ein Gehirn.» Er beschloss also, das Leben und sein Werk einzuschränken auf das blitzende Schwimmen des Tintenfisches inmitten wolkiger Tinte. Die packende Stelle, wo Maldoror sich auf hoher See mit dem Haifischweibchen paart «durch eine lange, keusche und scheußliche Begattung», vor allem die bezeichnende Erzählung, wo der in einen Polypen verwandelte Maldoror den Schöpfer anfällt, drücken in klarer Weise einen Ausbruch über die Grenzen des Seins hinaus und einen verkrampften Anschlag auf die Gesetze der Natur aus.
    Diejenigen, die sich aus der Heimat der Harmonie, wo Gerechtigkeit und Leidenschaft sich die Waage halten, ausgeschlossen sehen, ziehen der Einsamkeit noch jenes bittere Reich vor, wo die Worte keinen Sinn mehr haben und Gewalt sowie Instinkt blinder Geschöpfe herrschen. Diese Herausforderung ist gleichzeitig eine Kasteiung. Der Kampf mit dem Engel des zweiten Gesangs endet mit der Niederlage und der Verwesung des Engels. Himmel und Erde sind dann zurückgeführt in die feuchten Gründe des Urlebens, wo sie verschmelzen. So hatte der Haifischmensch der ‹Gesänge› «die neue Umformung der Enden seiner Arme und Beine nur als Sühne für irgendein unbekanntes Verbrechen erlangt». Es gibt in der Tat in Lautréamonts recht wenig bekanntem Leben ein Verbrechen oder die Illusion eines Verbrechens (vielleicht die Homosexualität?). Kein

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