Camus, Albert
demnach das 20. Jahrhundert. Gemeinhin begrüßt als der Sänger der reinen Revolte, kündigt Lautréamont im Gegenteil die Neigung zur geistigen Knechtschaft an, die sich in unserer Welt entfaltet. Die ‹Poésies› sind nur das Vorwort eines ‹künftigen Buches›; und alle mögen nun von diesem künftigen Buch träumen, dem idealen Abschluss der literarischen Revolte. Doch es wird heute, gegen Lautréamont, in Millionen von Exemplaren geschrieben, auf Befehl der Büros. Das Genie trennt sich zweifelsohne nicht von der Banalität. Allein, es handelt sich nicht um die Banalität der andern, mit der sich zu vereinen man vergeblich sich vornimmt und die selber, wenn es sein muss mit polizeilichen Mitteln, den Schöpfer einholt. Es handelt sich für den Schöpfer um seine eigene Banalität, die ganz und gar zu erschaffen ist. Jedes Genie ist zugleich befremdend und banal. Es ist nichts, wenn es nur eins von beiden ist. Dessen müssen wir uns erinnern, was die Revolte betrifft. Sie hat ihre Dandys und ihre Knechte, erkennt aber in ihnen nicht ihre legitimen Söhne.
Surrealismus und Revolution
Von Rimbaud wird hier kaum die Rede sein. Über ihn ist alles und leider mehr gesagt worden. Wir stellen indessen fest, denn dies betrifft unser Thema, dass Rimbaud der Dichter der Revolte nur in seinem Werk war. Sein Leben rechtfertigt bei weitem nicht den Mythos, den er heraufgerufen hat; es gibt – eine objektive Lektüre seiner Briefe aus Harrar liefert den Beweis – bloß das Beispiel eines Einverständnisses mit dem schlimmsten Nihilismus. Rimbaud wurde vergöttert, weil er auf sein Genie verzichtet hat, als setzte dieser Verzicht eine übermenschliche Tugend voraus. Obgleich dies das Alibi unserer Zeitgenossen entwertet, muss gesagt werden, dass im Gegenteil allein das Genie eine Tugend voraussetzt, nicht der Verzicht auf das Genie. Rimbauds Größe liegt nicht in seinen ersten Aufschreien aus Charleville noch in den Schmuggelgeschäften in Harrar. Sie bricht in jenem Augenblick aus, da er der Revolte die befremdlich richtigste Sprache verleiht, die sie je gehabt hat, und darin zu gleicher Zeit seinen Triumph und seine Angst, das Leben, das der Welt fehlt, und die unvermeidliche Welt, den Ruf nach dem Unmöglichen und die raue, zu umfassende Wirklichkeit, die Abweisung der Moral und die unwiderstehliche Sehnsucht nach der Pflicht in Worte fasst. Wo er, der in sich selbst die Erleuchtung und die Hölle trägt, der die Schönheit grüßt und beleidigt, aus einem unvereinbaren Widerspruch einen Wechselgesang macht, ist er der Dichter der Revolte und ihr größter. Die chronologische Reihenfolge der beiden Werke ist ohne Bedeutung. Auf jeden Fall lag zwischen den beiden Konzeptionen zu wenig Zeit, und jeder Dichter weiß mit absoluter, aus der Erfahrung eines Lebens erwachsener Sicherheit, dass Rimbaud die ‹Saison› und die ‹Illuminations› zu gleicher Zeit in sich trug. Schrieb er sie auch eine nach der andernnieder, so hat er sie doch im gleichen Augenblick erlitten. Dieser Widerspruch, der ihn tötete, machte sein wahres Genie aus.
Doch wo ist demnach die Tugend dessen, der sich vom Widerspruch abwendet und sein Genie verrät, bevor er es bis zum Ende durchlitten hat? Rimbauds Schweigen ist für ihn keine neue Art der Revolte. Wenigstens können wir es nicht mehr behaupten seit der Veröffentlichung seiner Briefe aus Harrar. Seine Wandlung hat zweifellos etwas Mysteriöses. Aber es gibt auch ein Geheimnis in der Banalität jener blendenden Mädchen, die die Ehe verwandelt in Geldzähl- und Häkelmaschinen. Der um Rimbaud gedichtete Mythos setzt voraus und versichert, dass nichts mehr möglich war nach der ‹Saison en Enfer›. Was ist denn unmöglich für einen mit Gaben gekrönten Dichter, für einen unbegrenzten Schöpfer? Nach ‹Moby Dick›, dem ‹Prozess›, ‹Zarathustra›, den ‹Besessenen› was Neues erdenken? Und dennoch entstehen nach diesen noch große Werke, die lehren, verbessern und bezeugen, was der Mensch an Stolzestem besitzt, und nur mit dem Tod ihres Schöpfers abgeschlossen sind. Wer bedauerte nicht jenes größere Werk noch als die ‹Saison›, um das eine Abdankung uns betrogen hat?
Ist Abessinien wenigstens ein Kloster; hat Christus Rimbauds Mund geschlossen? Es wäre dann jener Christus, der heute an den Bankschaltern sitzt nach den Briefen zu urteilen, in denen der ausgestoßene Dichter nur von seinem Geld spricht, das er ‹gut angelegt› und ‹regelmäßig zinstragend›
Weitere Kostenlose Bücher