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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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sehen will. 26 Der in Höllenqualen dichtete, der Gott und dieSchönheit beleidigt hatte, der sich gegen die Gerechtigkeit und Hoffnung wappnete, der sich ruhmvoll in der Luft des Verbrechens dörrte, will nur jemanden heiraten, der ‹eine Zukunft hat›. Der Magier, der Seher, der unbezwingliche Sträfling, hinter dem sich das Zuchthaustor immer wieder schließt, der König Mensch auf einer Erde ohne Götter, trägt dauernd acht Kilo Gold in einem Gürtel, der ihm den Bauch einzwängt und ihm, wie er klagt, Dysenterie verursacht. Ist das der mythische Held, den man so vielen Jungen vor Augen hält, die nicht die Welt bespeien, aber beim bloßen Gedanken an diesen Gürtel vor Scham stürben. Um den Mythos aufrechtzuerhalten, muss man diese entscheidenden Briefe ignorieren. Man begreift, dass sie so wenig kommentiert worden sind. Sie sind ein Sakrileg, wie es die Wahrheit manchmal sein kann. Der große, bewundernswerte Dichter, der größte seiner Zeit, das blitzende Orakel, das ist Rimbaud. Aber nicht der Gott-Mensch, das wilde Beispiel, der Mönch der Dichtung, zu dem man ihn stempeln wollte. Der Mensch hat seine Größe erst auf dem Spitalbett, in der Stunde des schwierigen Endes, wiedergefunden, da selbst das Mittelmaß des Herzens ergreifend wird: «Wie bin ich unglücklich, wie bin ich doch unglücklich … und habe Geld auf mir, das ich nicht einmal überwachen kann!» Der Aufschrei jener elenden Stunden stellt Rimbaud zum Glück wieder unter jenes gemeinsame Maß, das unwillkürlich mit der Größe übereinstimmt: «Nein, nein, jetzt rebelliere ich gegen den Tod!» Der junge Rimbaud ersteht wieder vor dem Abgrund und mit ihm die Revolte jener Tage, als die Verfluchung des Lebens nichts anderes war als die Verzweiflung vor dem Tod. Da trifft der bürgerliche Geschäftemacher wieder mit dem zerrissenen Jüngling zusammen, den wir so teuer geliebt haben. Im Schrecken und im bitteren Schmerz, wo sich am Schluss alle Menschen wiederfinden, die das Glück zu grüßennicht verstanden haben. Erst da beginnt seine Leidenschaft und seine Wahrheit.
    Im Übrigen war Harrar in Wirklichkeit schon angekündigt, freilich in Gestalt der letzten Abdankung. «Das Beste: Ein recht trunkener Schlaf am Strande.» Die Vernichtungswut, typisch für jeden Rebellen, nimmt hier die gewöhnlichste Form an. Die Apokalypse des Verbrechens, wie sie bei Rimbaud im Prinzen, der unablässig seine Untertanen tötet, vorgebildet ist, die endlose Ausschweifung sind Themen der Revolte, welche die Surrealisten wiederfinden. Doch zum Schluss hat die nihilistische Bedrückung gesiegt, der Kampf, das Verbrechen selbst fallen der erschöpften Seele lästig. Der Seher, der, wenn man sagen darf, trank, um nicht zu vergessen, findet letzten Endes in der Trunkenheit den schweren Schlaf, den unsere Zeitgenossen gut kennen. Man schläft am Strand oder in Aden. Und man willigt, nicht mehr handelnd, sondern passiv, in die Weltordnung ein, selbst wenn sie erniedrigend ist. Rimbauds Schweigen bereitet auch das Schweigen des Reichs vor, das über den Geistern schwebt, die sich in alles schicken, nur nicht in den Kampf. Diese große, auf einmal dem Geld ergebene Seele kündigt neue Forderungen an, übermäßige am Anfang, die sich darauf in den Dienst der Polizei stellen. Nichts sein, das ist der Ruf eines Geistes, den seine eigene Revolte ermüdet. Es handelt sich dann um einen Selbstmord des Geistes, weniger achtenswert nach alledem, als derjenige der Surrealisten, und folgenschwerer. Am Ende dieser großen Bewegung ist gerade der Surrealismus nur darum bedeutsam, weil er versuchte, den einzigen Rimbaud weiterzuführen, der unserer Zuneigung wert ist. Indem er aus dem Brief über den Seher und der Methode, die er voraussetzt, die Regel einer rebellischen Askese ableitet, beleuchtet er den Kampf zwischen dem Willen zum Sein und dem Wunsch nach Vernichtung, dem Nein und demJa, den wir auf allen Stufen der Revolte gefunden haben. Aus allen diesen Gründen scheint es angezeigter, statt die unaufhörlichen Kommentare über Rimbauds Werk zu wiederholen, ihn bei seinen Erben aufzusuchen und ihm dort zu folgen.
    Absolute Revolte, totale Unbotmäßigkeit, regelrechte Sabotage, Humor und Kult des Absurden – als sein erstes Ziel definiert der Surrealismus selbst den Prozess gegen alles, der immer wieder aufzunehmen ist. Die Zurückweisung alles Determinierenden ist klar, scharf, herausfordernd. «Wir sind Spezialisten der Revolte.» Der Surrealismus, nach Aragon eine

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