Camus, Albert
nichts und niemandem beschränkt». Bakunin hat ebenso wie sein Gegner Marx Bausteine zur leninistischen Doktrin geliefert. Übrigens ist der Traum eines revolutionären slawischen Reichs, wie ihn Bakunin vor dem Zaren entwickelte, bis in die Einzelheiten der Grenze der gleiche, den Stalin verwirklicht hat. Von einem Mann ausgehend, der sagen konnte, die wesentliche Triebkraft des zaristischen Russlands sei die Angst, und der die marxistische Theorie einer Parteidiktatur ablehnte, können diese Anschauungen widersprüchlich scheinen. Aber dieser Widerspruch zeigt, dass die Ursprünge der autoritären Doktrin teilweise nihilistisch sind. Pisarew rechtfertigt Bakunin. Dieser wollte gewiss die totale Freiheit, aber er suchte sie durch die totale Zerstörung hindurch. Alles zerstören heißt, ohne Grundmauern bauen zu wollen; dann muss man die Mauern mit ausgestreckten Armen aufrecht halten. Wer die ganze Vergangenheit verwirft, ohne zu bewahren, was dazu dienen kann, die Revolution mit Leben zu füllen, verurteilt sich dazu, nur in der Zukunft eine Rechtfertigung zu finden, und beauftragt mittlerweile die Polizei mit der Rechtfertigung des Vorläufigen. Bakunin kündigte die Diktatur an, nicht entgegen seinem Wunsch nach Zerstörung, sondern in Übereinstimmung mit ihm. Nichts konnte ihn in der Tat auf diesem Weg aufhalten, waren doch auf dem Brandhaufen der totalen Verneinung auch die ethischen Werte geschmolzen. Mit seinem ‹Bekenntnis› an den Zaren, geschrieben mit offenbarer Unterwürfigkeit, doch mit der Absicht, befreit zu werden, führt er auf spektakuläre Weise das doppelte Spiel in die revolutionäre Politik ein. Durch den‹Revolutionären Katechismus›, den er mit Netschajew vermutlich in der Schweiz verfasst hat, gibt er, selbst wenn er es später leugnen soll, jenem politischen Zynismus eine Form, die fortan nicht mehr aufhören wird, auf der revolutionären Bewegung zu lasten.
Netschajew, weniger bekannt als Bakunin, aber eine geheimnisvollere, für unser Thema noch bezeichnendere Gestalt, hat die Folgerichtigkeit des Nihilismus so weit vorgetrieben, wie er nur konnte. Dieser Geist ist beinahe ohne Widerspruch. Er taucht um 1866 in den Kreisen der revolutionären Intelligenzija auf und stirbt im Dunkel, im Januar 1882. In diesem kurzen Zeitraum hat er nie aufgehört zu bezaubern: die Studenten um sich herum, Bakunin selbst und die emigrierten Revolutionäre, seine Gefängniswärter schließlich, die er dazu bringen konnte, an einer tollen Verschwörung teilzunehmen. Als er in Erscheinung trat, waren seine Anschauungen bereits gefestigt. Wenn Bakunin derart von ihm fasziniert war, dass er bereit war, ihm Scheinaufträge zu geben, so deshalb, weil er in dieser unerbittlichen Gestalt erkannte, was er selbst zu sein empfohlen hatte und was er selbst in gewissem Sinne gewesen wäre, wenn er sich von seinem Herzen hätte freimachen können. Netschajew hatte sich nicht damit begnügt zu sagen, man müsse sich verbinden «mit der wilden Welt der Räuber, diesem wirklichen und einzigen revolutionären Milieu Russlands», und auch nicht damit, einmal mehr wie Bakunin zu schreiben, die Politik sei künftig die Religion und die Religion die Politik. Er machte sich zum grausamen Mönch einer verzweifelten Revolution; sein offenkundigster Traum war, den Mörderorden zu gründen, der es erlauben würde, der schwarzen Gottheit, der zu dienen er entschlossen war, zur Verbreitung und schließlich zum Sieg zu verhelfen.
Er hat nicht nur theoretisiert über die allgemeine Zerstörung,seine Originalität war, für die Jünger der Revolution kühl das ‹Alles ist erlaubt› zu beanspruchen und sich in der Tat alles zu erlauben. «Der Revolutionär ist ein von vornherein Verurteilter. Er darf weder Beziehungen der Leidenschaft pflegen noch geliebte Dinge oder Wesen besitzen. Er sollte sich selbst seines Namens entledigen. Alles in ihm muss sich auf eine einzige Leidenschaft konzentrieren: die Revolution.» Wenn in der Tat die Geschichte, außerhalb jedes Prinzips, nur aus dem Kampf zwischen Revolution und Gegenrevolution besteht, gibt es keinen andern Ausweg, als sich einem der beiden Werte anzuschließen, um darin zu sterben oder aufzuerstehen. Netschajew treibt diese Logik ins Extrem. Mit ihm wird sich die Revolution zum ersten Mal ausdrücklich von der Liebe und Freundschaft trennen.
Man entdeckt bei ihm die Konsequenzen der willkürlichen Psychologie, wie sie ihm die Hegel’sche Philosophie zutrug. Dieser hat indes
Weitere Kostenlose Bücher