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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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Prophezeiung ist auch in ihrem Prinzip revolutionär. Da die ganze menschliche Wirklichkeit in den Produktionsverhältnissen ihren Ursprung hat, ist das geschichtliche Werden revolutionär, weil die Volkswirtschaft es auch ist. Auf jeder Stufe der Produktion ruft die Wirtschaft Gegenkräfte hervor, die zugunsten einer höheren Produktionsstufe die entsprechende Gesellschaft zerstören. Der Kapitalismus ist die letzte dieser Produktionsstufen, denn er bringt die Bedingungen hervor, unter denen jedes Gegenstreben aufgehoben wird und es keine Wirtschaft mehr geben wird. An diesem Tag wird unsere Geschichte zur Vorgeschichte. Unter einer anderen Perspektive ist das das Schema Hegels. Die Dialektik wird unter dem Gesichtspunkt der Produktion und der Arbeit betrachtet, statt unter demjenigen des Geistes. Ohne Zweifel hat Marx selbst nie von dialektischem Materialismus gesprochen. Er überließ es seinen Erben, dies logische Monstrum zu feiern. Aber er sagt zu gleicher Zeit, dass die Wirklichkeit dialektisch und wirtschaftlich sei. Die Wirklichkeit ist ein unendliches Werden, unterbrochen vom fruchtbaren Stoß der Gegenkräfte, die jedes Mal in einer höheren Synthese gelöst werden, welche ihrerseits das Entgegengesetzte hervorruft und aufs Neue die Geschichte vorrücken lässt. Was Hegel von der Wirklichkeit auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft behauptet, behauptet Marx von der Wirtschaft, die auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft sei; jedes Ding ist gleichzeitig es selbst und sein Gegenteil, und dieser Widerspruch zwingt es dazu, etwas andereszu werden. Weil er bürgerlich ist, erweist sich der Kapitalismus als revolutionär und bereitet dem Kommunismus das Bett.
    Die Originalität von Marx besteht in der Behauptung, dass die Geschichte zu gleicher Zeit Dialektik und Wirtschaft ist. Hegel behauptete überlegener, sie sei zugleich Materie und Geist. Sie konnte übrigens nur insoweit Materie sein, als sie Geist war, und umgekehrt. Marx leugnet den Geist als letzte Substanz und bejaht den historischen Materialismus. Man kann mit Berdiajew sofort die Unmöglichkeit hervorheben, die Dialektik mit dem Materialismus zu versöhnen. Es kann keine andere Dialektik als die des Geistes geben. Doch ist der Materialismus selbst ein doppeldeutiger Begriff. Allein um das Wort zu bilden, muss man schon sagen, dass es auf der Welt etwas mehr als die Materie gibt. Mit noch mehr Recht lässt sich diese Kritik auf den historischen Materialismus anwenden. Die Geschichte unterscheidet sich gerade von der Natur dadurch, dass sie sie mit den Mitteln des Willens, der Wissenschaft und der Leidenschaft umformt. Marx ist kein reiner Materialist aus dem einleuchtenden Grund, weil es weder einen reinen noch einen absoluten Materialismus gibt. Er ist es so wenig, dass er erkennt, dass, wenn die Waffen eine Theorie zum Sieg führen können, die Theorie daher auch Waffen in Bewegung setzen kann. Marxens Stellung würde man mit mehr Recht einen historischen Determinismus nennen. Er leugnet nicht das Denken, er setzt es nur als von der äußeren Wirklichkeit völlig bestimmt voraus. «Für mich ist die Denkbewegung nur eine Spiegelung einer wirklichen Bewegung, die auf das Gehirn des Menschen übertragen wird.» Diese besonders plumpe Definition hat keinen Sinn. Wie und wodurch kann eine äußere Bewegung «aufs Gehirn übertragen» werden? Doch diese Schwierigkeit ist nichts, verglichen mit derjenigen, die in derfolgenden Definition der ‹Übertragung› besteht. Aber Marx hatte die kurzsichtige Philosophie seines Jahrhunderts. Was er meint, kann auf anderen Ebenen definiert werden.
    Für ihn ist der Mensch nur Geschichte und vorzüglich Geschichte der Produktionsmittel. Marx bemerkt in der Tat, der Mensch unterscheide sich vom Tier dadurch, dass er die Mittel zu seinem Unterhalt selbst herstelle. Wenn er nicht zuerst isst, sich kleidet und seine Unterkunft schafft, ist er nicht. Dies
primum vivere
ist seine erste Bestimmung. Das wenige, das er in diesem Zeitpunkt denkt, steht in direktem Verhältnis zu seinen unumgänglichen Notwendigkeiten. «Die Geschichte der Industrie ist das aufgeschlagene Buch der wesentlichen Fähigkeiten des Menschen.» Seine persönliche Verallgemeinerung zieht aus dieser alles in allem annehmbaren Behauptung den Schluss, dass die wirtschaftliche Abhängigkeit einzig und hinreichend ist, was zu beweisen bleibt. Man kann zugeben, dass die wirtschaftliche Bestimmtheit eine führende Rolle in der Entstehung der

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