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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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Reich des absoluten Wissens, wo die Augen des Geistes und die des Körpers eins sind, versöhnte auch Hegel die Widersprüche. Maistres Vision trifft sich auch mit der von Marx, die «das Ende des Kampfes zwischen Wesen und Existenz, zwischen Freiheit und Notwendigkeit» ankündigte. Das Übel ist für Maistre nichts anderes als der Bruch der Einheit. Die Menschheit muss aber ihre Einheit auf Erden und im Himmel wiederfinden. Auf welchem Wege? Maistre ist als Reaktionär des Ancien Régime in diesem Punkt weniger deutlich als Marx. Dennoch erwartete er eine große religiöse Revolution, deren ‹entsetzliches Vorspiel› nur das Jahr 1789 war. Er zitierte den Apostel Johannes, der verlangt, dass wir die Wahrheit
tun,
was streng genommen das Programm des modernen revolutionären Geistes ist, und den Apostel Paulus, der verkündet, «dass der letzte Feind, den wir vernichten müssen, der Tod ist». Die Menschheit schreitet durch Verbrechen, Gewalt und Tod dieser Erfüllung entgegen, die alles rechtfertigen wird. Die Erde ist für Maistre «ein riesiger Altar, auf dem alles Lebendige geopfert werden muss, ohne Ende, ohne Maß, ohne Unterbruch, bis zum Ende aller Dinge, bis zur Vernichtung des Bösen, bis zum Tod des Todes».Sein Fatalismus ist jedoch aktiv. «Der Mensch muss handeln, als vermöge er alles, und sich bescheiden, als vermöge er nichts.» Man findet bei Marx den gleichen schöpferischen Fatalismus. Maistre rechtfertigt zweifellos die bestehende Ordnung; aber Marx rechtfertigt die Ordnung, die sich zu seiner Zeit befestigt. Das beredtste Lob wurde dem Kapitalismus von seinem größten Feind gespendet. Marx ist nur so weit Antikapitalist, als der Kapitalismus überholt ist. Eine neue Ordnung muss aufgerichtet werden, die im Namen der Geschichte einen neuen Konformismus verlangt. Was die Mittel betrifft, so sind sie für Marx und Maistre die gleichen: politischer Realismus, Zucht, Gewalt. Wenn Maistre den starken Gedanken Bossuets wiederaufnimmt: «Ketzer ist der, der eigene Gedanken hat», d. h. Ideen, die sich auf keine soziale oder religiöse Tradition stützen, so spricht er damit die zugleich älteste und jüngste Formel des Konformismus aus.
    Diese Ähnlichkeit macht natürlich aus Maistre keinen Marxisten und aus Marx keinen traditionellen Christen. Der marxistische Atheismus ist absolut. Aber er setzt doch das höchste Wesen auf der Ebene des Menschen wieder ein. «Die Kritik der Religion mündet in die Lehre ein, wonach der Mensch dem Menschen das höchste Wesen ist.» Unter diesem Gesichtspunkt ist der Sozialismus somit ein Unternehmen zur Vergöttlichung des Menschen und hat einige Merkmale der traditionellen Religionen angenommen. 69 Diese Annäherung wirft jedenfalls ein Licht auf den christlichen Ursprung jedes geschichtlichen und selbst revolutionären Messianismus. Der einzige Unterschied liegt im Wechsel des Vorzeichens. Bei Maistre wie bei Marx erfüllt das Ende der Zeiten den großen Traum Vignys die Versöhnung von Wolf undLamm, der Gang des Verbrechers und des Opfers zum gleichen Altar, die Wiedereröffnung bzw. die Öffnung eines Paradieses auf Erden. Für Marx spiegeln die Gesetze der Geschichte die materielle Wirklichkeit; für Maistre spiegeln sie die Wirklichkeit Gottes. Aber für Marx sind Materie und Substanz eines; für Maistre ist die Substanz seines Gottes auf Erden Fleisch geworden. Die Ewigkeit trennt sie am Anfang, aber die Geschichtlichkeit vereint sie schließlich in einer realistischen Schlussfolgerung.
    Maistre hasste Griechenland (das Marx, dem alle sonnenhafte Schönheit fremd war, störte) und sagte von ihm, es habe Europa verdorben, indem es ihm seinen Geist der Trennung vererbte. Es wäre gerechter gewesen zu sagen, das griechische Denken sei dasjenige der Einheit, gerade weil es Vermittler nicht entbehren konnte, und es kenne im Gegenteil den geschichtlichen Geist der Ganzheit nicht, den das Christentum erfunden hat und der, von seinen religiösen Ursprüngen abgeschnitten, Europa umzubringen droht. «Gibt es eine Fabel, einen Wahnsinn, ein Laster, das nicht einen Namen, ein Wahrzeichen, eine Maske Griechenlands trüge?» Lassen wir die Wut des Puritaners auf sich beruhen. Diese heftige Abneigung drückt in Wirklichkeit den Geist der Moderne aus, im Bruch mit der ganzen antiken Welt, hingegen in engem Zusammenhang mit dem autoritären Sozialismus, der das Christentum entheiligen und es einer eroberungssüchtigen Kirche einverleiben wird.
    Marxens wissenschaftlicher

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