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Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Titel: Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Radisch
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Artaud «Das Theater und die Pest», in dem Artaud 1934 dafür plädierte, der klassischen Tragödie durch den Geruch von Blut und Tod neues Leben einzuhauchen. Die Pest, glaubte Artaud, tauche jeweils an bestimmten Orten auf, vorzugsweie an solchen, wo Wille, Bewusstsein und Denken des Menschen wohnen.
    Auch Camus meinte in den Kriegsjahren, von einer inneren Pest befallen zu sein. In der Einsamkeit seines Krankenaufenthaltes in Le Panelier 1942 schrieb er die erste Fassung des Romans, damals mit dem Gefühl des Lebendig-begraben-Seins und des Trennungsschmerzes, unter dem er in den Wochen zwischen der Abreise seiner Ehefrau und der Bekanntschaft mit Maria Casarès gelitten haben will.
    Noch zu Camus’ Lebzeiten wurde bemerkt, dass die Infektionskrankheit der
Pest
, die einerseits ein großes Menschheitsgleichnis von zeitloser Allgemeingültigkeit, andererseits ein Sinnbild für die Besetzung Frankreichs durch die Nationalsozialisten war, an ihrer allegorischen Doppelbelastung recht schwer trug. Der Kampf gegen Mikroben, hieß es, könne nicht mit dem Kampf gegen Menschen gleichgesetzt werden. Camus habe die Frage nach der Ursache des Übels vermieden, er habe die Seuche als unausweichlich dargestellt und das Buch, trotz des selbstlosen Kampfes seiner Helden, in einem Ton der Ergebung ausklingen lassen.
    Dem Kritiker Roland Barthes wird Camus später bestätigen, dass er den Kampf gegen die Pest durchaus als eine Allegorie für die Résistance verstanden wissen wollte. In einem Brief an Madame Rioux, die Frau eines Arztes in Le Panelier, der möglicherweise das Vorbild für den Romanarzt Dr. Rieux abgegeben hatte, lässt er die Auflösung der Pest-Allegorie jedoch offen: Sie könne sowohl die Chronik einer Epidemie als auch ein Symbol für die Besetzung durch die Deutschen oder für jede andere totalitäre Herrschaft, aber ebenso die konkrete Veranschaulichung des metaphysischen Problems des Bösen sein.
    Mit dem Roman konnte Camus das erste Werk seines zweiten Zyklus vollenden. Der dazugehörende Essay
Der Mensch in der Revolte
und das Drama
Die Gerechten
standen noch immer aus. Anders als die absurden Protagonisten Meursault und Sisyphos fügen sich die Helden der
Pest
, Dr. Rieux und Tarrou, nicht mit stolzer Resignation in das Verhängnis, sondern führen einen tapferen Kampf ohne Aussicht auf ihr eigenes Überleben. An Louis Guilloux schreibt Camus: «Das Absurde kann besänftigt werden, wenn die Menschen gemeinsam gegen es kämpfen.» [203] Das Ergebnis ist dennoch dasselbe.
Die Pest
endet so fatalistisch wie der
Sisyphos
. Camus glaubt nicht an den Fortschritt. Der Bazillus erweist sich als unbesiegbar. Er kann, so heißt es auf der letzten Seite, «jahrzehntelang in den Möbeln und in der Wäsche schlummern», kann «in Zimmern, Kellern, Koffern, Taschentüchern und Papieren» auf den Tag warten, «an dem die Pest zum Unglück und zur Belehrung der Menschen ihre Ratten wecken und zum Sterben in eine glückliche Stadt schicken würde». [204]
    Das Düstere und das Lähmende der
Pest
werden durch keinen Hoffnungsfunken und keinerlei Ironie gemildert. Der Mensch kann tun, was er will, er kann eine Zeitung, ein Serum, einen Sanitätstrupp mobilisieren, er kann der Résistance beitreten oder eine Revolte anzetteln, und Camus besteht inzwischen darauf, dass es seine Pflicht ist, Derartiges zu unternehmen – gegen das Verhängnis bleibt er zuverlässig machtlos. Es lächelt nun nicht einmal mehr zärtlich vom Sternenhimmel herab wie auf der letzten Seite des
Fremden
.
    Kurz nach Erscheinen des Romans zieht sich Camus für die Sommermonate des Jahres  1947 in die lungenfreundliche Mittelgebirgslage von Le Panelier zurück. In seinem Notizbuch sucht er nach einem neuen Horizont, in dessen Licht auch der «tätige Fatalismus» der
Pest
wieder überwunden werden kann – der dritte, nie vollendete Zyklus seines Werks soll dem Mitleiden und der Liebe gelten; als wollte der verlorene Sohn am Ende seines Weges doch noch zum Christentum finden, dessen Verstrickung in die abendländische Gewaltgeschichte er so oft beklagt hat.
    «Das Ende der Bewegung des Absurden, der Revolte usw. und somit das Ende der gegenwärtigen Welt, findet sich im Mitleiden im eigentlichen Sinn des Wortes, das heißt schließlich, in der Liebe und in der Dichtung. Aber dazu ist eine Unschuld erforderlich, die ich nicht mehr besitze. Ich kann nur den Weg richtig erkennen, der dahin führt, und die Zeit der Schuldlosen anbrechen lassen. Sie

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