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Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Titel: Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Radisch
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in die Konsens- und Kompromissdemokratie der späten vierziger und der fünfziger Jahre stürzt beide in eine psychische und politische Krise, auf die sie nicht vorbereitet sind. Die Helden der Résistance müssen sich neu erfinden. An dieser Schwelle trennen sie sich voneinander und vom
Combat
 – am 1 . Juni 1947 verkaufen sie ihre Aktionärsanteile an die neuen Eigentümer Claude Bourdet und Henri Smadja. Pia verzichtet auf den ihm zustehenden Teil der Kaufsumme. Und das war’s. Die beiden sehen sich nie wieder.
    Camus stellt im November  1948 im
Combat
(der bis ins Jahr  1972 fortbestehen wird) in einer letzten Artikelserie seine Vision von der Neuordnung Europas vor. Unter dem Titel «Weder Opfer noch Henker» tritt er dafür ein, die Vereinigten Staaten von Europa zu gründen.
    «In zehn Jahren, in fünfzig Jahren wird die Vorherrschaft der westlichen Zivilisation nicht mehr selbstverständlich sein. Umso mehr muss man jetzt schon daran denken, ein Weltparlament zu eröffnen, auf dass sein Gesetz zum universellen Gesetz werde». [208]
    Der ehemalige Leitartikler schien zu wissen, wo Frankreichs Platz in der neuen globalen Weltgemeinschaft zu sein habe. Seinen eigenen Platz in der französischen Nachkriegsgesellschaft fand er nicht.

Der Bruder – René Char
    Im September  1946 war Camus mit den algerischen Freunden Jean Amrouche und Jules Roy für einige Tage in die Provence gereist. In Lourmarin hatten die drei den provenzalischen Schriftsteller Henri Bosco getroffen, der dort seit Kindertagen lebte und heute gemeinsam mit Camus auf dem Friedhof von Lourmarin ruht.
    Die Reise wühlte Camus auf. Sie führte zur Wiederbegegnung mit den alten Zauberformeln der Kindheit – Sonne, Sterne, Wüste, Schweigen, Schönheit. Im Lubéron gewann er zurück, was er in Algerien verloren und nach einem Weltkrieg mit zig Millionen Toten beinahe vergessen hatte.
    «Lourmarin. Der erste Abend nach so vielen Jahren. Der erste Stern über dem Lubéron, das gewaltige Schweigen, die Zypresse, deren Wipfel in der Tiefe meiner Müdigkeit bebt. Ein Land, feierlich und herb – trotz seiner überwältigenden Schönheit.» [209]
    Der Dichter René Char lebte nicht weit von Lourmarin in einem bescheidenen Haus in L’Isle-sur-la-Sorgue. Alles an ihm – sein zerfurchtes Gesicht, in dem sich die zerklüftete Landschaft der Vaucluse zu spiegeln schien; seine massive, schwere Statur, die den Landbewohner verriet; seine Hochherzigkeit, die ihn zu einem mutigen Kämpfer des Maquis gemacht hatte; seine Gedichte von Sternen, Gräsern, Wind, Licht und Glück –, das alles zeugte von dem einfachen Leben, das Camus immer suchte.
    Im März  1946 hatte er einen Brief von René Char erhalten, dessen Gedichtband
Feuillets d’Hypnos
in der von ihm betreuten Reihe «Espoir» bei Gallimard erschienen war. Char kannte einige Artikel von Camus im
Combat
, deren Redlichkeit ihm gefiel. Ein erstes Treffen der beiden hatte im Frühjahr  1946 in Camus’ Büro in der Rue Sébastien-Bottin stattgefunden – der Beginn einer großen Männerfreundschaft.
    Seit der kurzen Herbstreise in die Provence ist Camus’ Sehnsucht nach dem einfachen Leben des Südens neu entflammt, nach einem Leben, wie Char es führt. Statt in Paris zwischen der Familie, der Geliebten, dem Verlag und dem Sartre-Clan wie im Käfig hin und her zu irren, möchte er nun in seine wahre Heimat zurückkehren. Sein «Bruder», wie er den sieben Jahre älteren Char nennen wird, soll ihm dabei helfen. Er möge ihm ein Haus im Lubéron suchen, weit ab von Paris und dessen «Krebs», wie Camus im Juni  1947 in einem Brief bittet.
    «Ich bin Paris leid und dieses Milieu, das es dort gibt. Meine tiefste Sehnsucht ist es, in meine Heimat zurückzukehren, nach Algerien, was ein Land mit echten Menschen ist, ein wahres Land, rau und unvergesslich. Aber aus verschiedenen Gründen ist das nicht möglich. Die Gegend in Frankreich, die mir die liebste wäre, ist die Ihre, genauer gesagt der Fuß des Lubéron, die Berggegend bei Lure, Lauris, Lourmarin etc. Bisher hat mir die Literatur keine großen Reichtümer beschert. Aber die ‹Pest› wird mir einiges Geld einbringen. Ich möchte in dieser Gegend ein Haus kaufen. Können Sie mir helfen?» [210]
    Nicht gleich, drei Jahre später kommt Camus drängender darauf zurück:
    «Verzeihen Sie, dass ich Sie mit diesen Nebensächlichkeiten aufhalte, aber können Sie nicht in Ihrer Nähe eine große Wohnung (sechs Zimmer) für mich mieten oder

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