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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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Gegenden üblich war, nicht nur im Agro Pontino, sondern auf der ganzen Welt, und die Gründe dafür waren hygienischer Natur. Da es in den Häusern kein fließendes Wasser gab – was natürlich mit der Verfügbarkeit von elektrischem Strom zusammenhing –, gab es auch keine Möglichkeit, die daher rührenden Abfälle in Kanälen oder Abwasserrohren abzuführen. Die Beseitigung musste also ganz über Jauchegruben erfolgen, die direkt unter der Latrine ausgehoben wurden, dort sammelten sich die Flüssigkeiten, um dann zwei oder drei Mal im Jahr geleert zu werden. Es war also nicht zu empfehlen, dass Menschen ständig über solchen Jauchegruben leben, das heißt, dort essen und schlafen sollten. Deshalb verlegte man sie nach draußen, wobei es in den ärmeren und unterentwickelten Gebieten – wie in Norditalien in den casoni – überhaupt kein privy gab oder keinen Abort, wie auch immer, und auch keine Jauchegrube, und die Leute gingen halt aufs Feld. Bei uns war die Jauchegrube nahe beim Misthaufen, der bei unserer Ankunft eine völlig glatte und saubere Betonfläche gewesen war, auf der sich dann Tag für Tag die festen Abfälle aus dem Stall sammelten. Im Misthaufen beginnt das Stroh aus den Streulagern, vermischt mit dem Kot der Kühe, allmählich zu gären, in chemischen Prozessen wird Flüssigkeit frei, die der Neigung der Fläche folgend über Ablaufrinnen in die Jauchegrube geleitet wird. Auf dem Misthaufen bleibt der feste Dung zurück – Gold für die Landwirtschaft, wie gesagt –, der ein oder zwei Mal im Jahr auf die Felder ausgebracht wird. Die Flüssigkeiten dagegen laufen alle in die Jauchegrube, von der Kuhpisse im Stall – Harnstoff, Gold zur Potenz, der sorgfältig mittels Rohrstutzen aufgefangen und über eigene Leitungen dorthin transportiert wird – bis zu den menschlichen Exkrementen aus dem privy . Und wenn die Jauchegrube voll war, wurde sie mit einer Handpumpe leergepumpt, man füllte die Jauche in einen Tank und zog in einer Prozession über sämtliche Felder, versprengte sie nach allen Seiten wie Weihwasser. Im Agro Pontino wurde nichts vergeudet. »Nicht mal ein Tropfen Pisse«, wie Onkel Iseo sagte.
    Das privy stand über der Jauchegrube, etwa vierzig Meter vom Haus entfernt, denn diese darf auf keinen Fall weniger als sechzig Meter vom Trinkwasserbrunnen entfernt sein, der vor dem Haus auf der Tenne das Wasser zum Waschen, Trinken und Kochen für Mensch und Tier spendet. In fast allen Höfen im Agro Pontino – nicht nur in unserem – ist die Jauchegrube exakt sechzig Meter vom Brunnen entfernt, keinen Meter mehr und keinen weniger. Keinen weniger, weil das der minimale Sicherheitsabstand ist, damit eventuelle Verluste aus der Jauchegrube nicht ins Grundwasser sickern, woraus sich der Trinkwasserbrunnen speist. Und keinen mehr, denn je größer der Abstand, desto größer die Mühe beim Schleppen der Eimer.
    Nicht, dass wir im privy recht viel Gebrauch von Wasser gemacht hätten, denn volle Eimer sind wie gesagt schwer. Unser Klo war ein Hockklosett, ohne Sitz also. Man ging rein, hockte sich hin, verrichtete sein Geschäft und ging wieder. Zum Abwischen verwendete man ein Büschel Gras oder ein Weinblatt – kein Feigenblatt, das kratzt zu sehr – oder auch ein Stück Zeitung, falls vorhanden. Aus meiner Kindheit erinnere ich mich da noch an die Bilderromane meiner älteren Vettern: »Bolero« und »Grand Hotel«, hartes Papier, das auch weh tat. Aber was wussten wir damals schon? Das erste Toilettenpapier habe ich in meinem Leben 1960 gesehen, und wenn der Eimer, der da danebenstand, zufällig voll war, dann schüttete man eben etwas Wasser in die Wanne, um sie sauber zu machen und den Dreck hinunterzuspülen. War er dagegen leer, Sanktus Amen : Man ging, mochte der Nächste zusehen, wie er zurechtkam. Ja, was glauben Sie denn: War man denn vielleicht blöd, zum Brunnen zu gehen, sich einen Eimer voll Wasser aufzuladen und ihn, ohne dass einen jemand dazu zwang, die sechzig Meter bis zum privy zu schleppen? Alles aus Liebe zum Nächsten, der kommt, den Eimer schön voll vorfindet und dann nach Herzenslust anfängt zu spülen und noch mal zu spülen und großzügig runterzuschütten? Nein, nein, da soll er schön selber gehen und den Eimer vollmachen.
    Die Aufgabe, Eimer voll Wasser zum Klo oder privy zu schaffen, war also stets eine der undankbarsten – folglich am meisten gescheuten – Aufgaben in dem arbeitsteiligen System, das meine Großmutter in unserer sogenannt

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