Canard Saigon (German Edition)
zeitlich trotzdem ausgehen, oder?“
„Eben nicht“, sagte Johannes. „Düzel ist nicht geflogen. Ich habe nochmals alle Passagierlisten der infrage kommenden Flüge überprüft. Also muss er mit dem Zug oder Auto gefahren sein. Emine Düzel wurde zwischen 20 und 22 Uhr ermordet. Die Abfahrtszeiten der Züge sind aber um 18 Uhr, beziehungsweise um 20 Uhr. Das heißt, hätte er am 9. September seine Frau ermordet, hätte er erst am 10. September Wien verlassen können. Und damit wäre er – nach 36 Stunden Fahrtzeit – erst am 13. September in Istanbul angekommen. Mit einem Auto dauert die Fahrt, ohne Unterbrechungen und ohne Verzögerungen, mindestens 22 Stunden. Das heißt, er hätte frühestens am 10. September, um 18 Uhr, Istanbul erreicht. Dann hätte er zum Hafen fahren und auf dem ersten Frachter sofort anheuern müssen. Also, wenn du mich fragst, dann kann sich das nicht ausgehen.“
„Hmm, die Argumentation hat etwas“, sagte Marc und kratzte sich am Kinn. „Gut recherchiert, Johannes. Ich werde das mit der Staatsanwältin besprechen. Vielleicht heben wir den Haftbefehl auf. Verständige bitte Europol, dass wir uns noch heute bei ihnen melden, um die weitere Vorgangsweise festzulegen.“
Während Johannes Schmied zu seinem Schreibtisch ging, stand Marc auf und begab sich in den Pausenraum. Bei einer Tasse Kaffee überlegte er, wie er seiner Gruppe das Gespräch mit Charles Wegner vermitteln konnte. Der alte Legionär ging ihm nicht aus dem Kopf. Nachdem Marc eine Nacht darüber geschlafen hatte, stellte er sich einige grundsätzliche Fragen. Hatte Wegner diese abenteuerliche Geschichte vielleicht erfunden? Marc verwarf den Gedanken. Die Schilderungen des Mannes waren zu detailliert, das konnte kein Mensch einfach erfinden. Oder doch? Marc beschloss, sich zu vergewissern, bevor er sich vielleicht zum Narren machte. Er ging zurück in den War Room, um mit Fritz Stainer zu sprechen.
„Fritz, ich brauche die Eckdaten eines Herrn Charles Wegner, 81 Jahre alt.“
„Hast du endlich einen Tatverdächtigen?“, fragte Fritz mit verschmitztem Lächeln. „Heutzutage kann man nicht einmal den Rentnern trauen.“
Marc lachte, aber er gab keinen weiteren Kommentar ab. Er ging zu seinem Schreibtisch. Auf halbem Weg drehte er sich um. „Ist dringend, Fritz“, rief er und setzte seinen Weg fort. Als er sich in seinen Sessel fallen ließ, hörte er die Stimme von Emma Szinovek.
„Marc, die DNA-Ergebnisse sind da.“
„Danke, Emma“, rief er zurück und loggte sich auf seinem Computer ein.
Die Auswertung der DNA-Spuren erbrachte die von Marc erwarteten Ergebnisse. Das Haar, das nicht von Frau Klein stammte, gehörte Maricela Rodriguez. Die eingetrockneten Bluttropfen im Auto von Frau Klein waren von ihrem Sohn. Marc lehnte sich zurück und presste die Lippen zusammen. Das beweist nur, dass Maricela im Jaguar des Doktors gesessen ist, dachte er. Marc war, obwohl er das Resultat geahnt hatte, etwas enttäuscht. Wieder nichts, dachte er, als er die Datenbank schloss. Wie schön wäre es gewesen, wenn das Blut von Fay gestammt hätte. Wir hätten einen konkreten Tatverdacht und ruckzuck wäre der Fall erledigt.
„Bitte sehr, Chef“, sagte Fritz, während er einen Computerausdruck auf den Schreibtisch legte. „Was hat es mit dem alten Herrn auf sich?“
„Das erfahrt ihr bei der Sitzung. Danke für die schnelle Erledigung, Fritz.“
„Dein Wunsch ist mir Befehl“, sagte Fritz und entfernte sich.
Marc überflog den Computerausdruck. Die Eckdaten stimmten haargenau mit den Angaben des alten Fremdenlegionärs überein. Marc atmete einmal tief durch. Er war erleichtert, dass er sich auf seine Menschenkenntnis verlassen konnte. Hatte der alte Mann tatsächlich, vor über 20 Jahren, den Grundstein für die heutige Mordserie gelegt? Die Indizien waren dünn, aber Marc entschied, die Hinweise genauer zu untersuchen.
Pünktlich um elf Uhr eröffnete Marc die Teamsitzung. Die Ermittlungsgruppe war fast vollständig. Vor fünf Minuten hatte Paul Valek angerufen. Er würde sich um etwa zehn Minuten verspäten, aber er habe interessante Neuigkeiten. Auch Simon Hoffer hatte sich entschuldigt. Marc informierte alle über das Gespräch mit Simon, das er vor einer halben Stunde geführt hatte. Eine Gruppe von Experten für Rechtsextremismus hatte Konrad Schliemann aufgesucht. Sie fanden ihn in schlimmer Verfassung vor. Aufgrund seiner Krankheit saß er im Rollstuhl. Er hauste in einem Loch von einer Wohnung und
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